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Der Monat vor dem Mord

Der Monat vor dem Mord

Titel: Der Monat vor dem Mord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jacques Berndorf
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Mitleid würde in Ihnen hochsteigen. Wenigstens würden Sie den entscheidenden Tipp geben, wo des Rätsels Lösung liegt. Oder nicht?«
    »Ich weiß nicht«, sagte Horstmann unsicher, »ich bin Wissenschaftler.«
    »Und ein bisschen versponnen«, sagte der Chef gutmütig. »Wenn ich Sie nicht so genau kennen würde, und wenn ich nicht genau wüsste, wie Sie sind, würde ich das Erpressung nennen.«
    Horstmann antwortete nicht, er starrte den Mann nur an. Er brauchte nichts zu sagen – nur der zu sein, der er seit sieben Jahren vorgab zu sein. Dabei dachte er belustigt: Es ist Erpressung, Chef. Du hast nur nicht gemerkt, welche Sorte von Erpressung. Und du weißt auch nicht, dass ich die Schnauze voll habe von diesem Scheißvertrag, in den du hast drucken lassen, dass alles, was mein Hirn ausbrütet, dir gehört. Alles und bis in alle Ewigkeit. Und du hast auch nicht begriffen, dass ich diese Sorte von keimfreiem Leben bis zur Halskrause stehen habe. Du weißt auch nicht, dass ich michein bisschen gedreht habe und nicht mehr das dumme, kluge, wissenschaftlich so gut funktionierende Schaf bin. Du bist hereingefallen, Chef.
    »Ich weiß, dass Sie niemals an Erpressung gedacht haben«, sagte der Chef. »Aber an diesem Beispiel kann man einmal sehen, wohin ein guter Wissenschaftler durch eine zu ehrgeizige Frau geführt werden kann. Wohin soll das Geld überwiesen werden? Ich meine, die Bank und das Konto und so.«
    Horstmann sagte: »Auf die Bank, auf die auch mein Gehalt geht. Ich habe nur ein Konto.«
    Das stimmte nicht. Er hatte zusammen mit seiner Frau das Verfügungsrecht über sein Gehaltskonto. Aber er hatte ein zweites Konto eröffnet, und seine Frau wusste nichts davon. Und auf dem Haus lag auch keine Schuld von hunderttausend Mark. Horstmann hatte überhaupt keine Schulden. Gott sei Dank, dachte er.
    »Reichen Sie die Unterlagen in die Buchhaltung. Ich sage da Bescheid.« Der Chef lächelte. »Ich gebe Ihnen die Hilfe gern«, sagte er. »Und Ihren Jahresurlaub können Sie doch sicherlich um vierzehn Tage oder so verschieben.«
    »Natürlich«, sagte Horstmann. Er bemühte sich nicht einmal, Bestürzung vorzutäuschen. Er tat ganz einfach so, als sei ihm die Sache zuwider. Und sein Chef verstand das auch. Sie tranken noch ein Glas Sekt zusammen und sprachen über die Notwendigkeit, mit Vertretern der kanadischen Forstverwaltung zu sprechen und – wenn eben dies möglich war – kanadische Kiefern und typisch kanadische Waldtiere zur Erprobung des Mittels zu bekommen. Als Horstmann über den tristen Korridor zu seinem Labor zurückging, wusste er ganz genau, dass dieser Mann in dem Zimmer versuchen würde, einige Millionen Dollar zu bekommen, um die Forschungsarbeit nicht selbst finanzieren zu müssen. Er dachteheiter: Versuch es nur! Vielleicht hast du Glück. Ich habe nicht im Traum daran gedacht, die Formel an die Konkurrenz zu geben. Ich wollte dir nur zeigen, dass mein Gehirn besser funktioniert als deines. Ich musste es mir auch selbst beweisen, um nicht weiter das nummerierte Arbeitstier zu sein, dein Frontschwein beim Geldverdienen. Ich bin nämlich endlich wachgeworden. Aber die Konkurrenz hätte ich nicht beliefert. Ich bin kein Schwein, Chef. Ich habe es auch bei dir geschafft. Du warst nicht sehr klug.
    Er hockte sich in seinem Labor an das Telefon und rief die Bank an. Er sagte dem Bankmann, den er gut kannte: »Da kommt jetzt eine Überweisung auf das Nebenkonto, irgendwann in den nächsten Tagen.«
    »Gut, Herr Doktor«, sagte der Mann, dem Horstmann beiläufig berichtet hatte, dass seine Firma ihm Kapital für Forschungszwecke freigeben werde. Irgendwann ...
    Horstmann setzte sich auf den Schemel zwischen die Tische und rauchte eine Zigarette. Er fragte sich, ob das, was er eben getan hatte, ein Verbrechen war. Aber die Überlegung war müßig. Es war ein Verbrechen, und es war gleichzeitig keins. Auf welchem Wege sonst hätte er an Mittel kommen sollen, um seine Träume zu verwirklichen? Es war ihm kein anderes eingefallen.
    Er hockte da und machte sich träge Gedanken darüber, ob er irgendeine Frau finden werde, die mit ihm all das machen würde, wovon er träumte. Maria, das war ganz sicher, würde diese Dinge niemals mit ihm machen. Und ich kann mich nicht dauernd von Träumen ernähren. Er lächelte matt, warf die Zigarette in einen Wassereimer und seufzte in die gläserne Stille des weißgekachelten Raumes. Er hatte nun genügend verschwiegenes Geld, um genügend verschwiegene Sachen zu

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