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Der Monat vor dem Mord

Der Monat vor dem Mord

Titel: Der Monat vor dem Mord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jacques Berndorf
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tun. Er wollte sich nicht von seiner Frauscheiden lassen. Er hatte zwar seiner Meinung nach genügend Gründe. Da war ihr sexuelles Versagen, da war ihre unerträgliche Art, ein Herzleiden zu haben. Sie sprach mehr davon, als sie von irgendetwas anderem sprach. Alles an ihr stimmte nicht mehr für ihn. Das musste in jedem Fall reichen. Aber eine Scheidung würde seine Lage für einige Monate komplizieren. Und er dachte auch ein wenig an die Kinder. Sie waren zwar erwachsen, aber wie weit waren sie es wirklich? Es war ganz einfach so: Er musste sich austoben, er war alt genug, um alles das zu haben, was ein Mann einmal haben muss. So einfach war das. Scheiß auf Disziplin und Familie! Zwanzig Jahre bin ich mit dieser Frau verheiratet, und zwanzig Jahre lang habe ich gehofft und mich dabei selbst betrogen.
    Er starrte auf die Straße hinunter und dachte: Ich gehe also buchstäblich vor meiner Familie stiften. Ich möchte wissen, was ich erlebe.
    Und plötzlich war Angst da. Sie ließ sich minutenlang nicht genau definieren, bis er auf zwei Sätze stieß, die eigentlich Fragen waren. Erstens: Würde er mit dem Geld alles das erreichen, wovon er geträumt hatte? Zweitens: Was geschah, wenn ihm die Flucht von seiner Familie aus irgendwelchen Gründen nicht gelang?
    Er wurde plötzlich fahrig und griff zum Telefon. Er wollte Ocker anrufen. Er wollte ihn fragen, nach irgendwelchen möglichen Sauereien fragen.
    Dann fiel ihm ein, dass Ocker zu Hause war und schlief. Er sagte: »Entschuldige, dass ich dich störe, aber ich habe eine Idee.«
    »Macht nichts«, sagte Ocker, »ich bin überdreht. Richtig schlafen kann ich nicht. Was ist? War noch irgendetwas beim Chef?«
    »Nein, nichts«, sagte Horstmann. »Ich dachte nur, wir beide sollten heute Abend ein Glas trinken. Auf den Erfolg, meine ich. Ohne die Frauen.«
    »Na klar«, sagte Ocker. »Wir können ja sagen, wir hätten noch zu arbeiten.«
    »Das können wir«, sagte Horstmann. »Ich hole dich ab.«
    Gleich darauf fragte er sich, warum eigentlich alle Männer, die er kannte, irgendwelche Arbeiten oder Konferenzen vorschoben, wenn es darum ging, ein Glas Bier zu trinken. Er hatte noch niemals von einer Frau gehört, die behauptet hatte, sie gehe einkaufen, um dann zu irgendeinem Kaffeeklatsch zu gehen. Der Gedanke amüsierte ihn. »Wir sind Idioten«, sagte er.
    Es war 15 Uhr, als Binder, der Buchhalter, in Horstmanns Labor kam und ohne Begrüßung sagte: »Ich hätte nicht geglaubt, dass der Chef Ihnen hunderttausend Mark für das Ding gibt.«
    Horstmann schwieg eine Weile, weil es so plötzlich gekommen war. »Es ist ein Darlehen«, sagte er, »kein Geschenk.«
    »Es ist kein Darlehen«, sagte Binder. »Der Chef hat es als Leistungszuwendung deklariert.«
    »Wohl wegen der Steuer oder so«, sagte Horstmann. Er fühlte sich unbehaglich.
    »Nein«, sagte Binder. »Sie wollen Ihr Haus schuldenfrei machen.«
    »Na und?«
    Binder lächelte. »Haben Sie Schulden auf dem Haus?«
    »Habe ich«, sagte Horstmann.
    »Hm«, sagte Binder. Es war sicher, dass er versuchen würde, das genau herauszufinden. Und er würde es herausfinden. Aber das war gleichgültig.
    »Es geht Sie doch nichts an«, sagte Horstmann.
    »Ein wenig schon«, sagte Binder. »Überlegen Sie einmal, dass man aus den hunderttausend Mark jetzt dreihunderttausend machen könnte.
    »Das ist doch nicht Ihr Ernst«, sagte Horstmann.
    »Warum nicht?«, fragte Binder arrogant. Er war keine Figur, der Arroganz anstand, aber er war arrogant.
    »Davon will ich nichts wissen«, sagte Horstmann abrupt.
    »Wir werden sehen«, sagte Binder. »Ich kann noch mehr Scherze machen.« Er sagte das ernst und ruhig, aber es war, als wollte irgendetwas in ihm explodieren.
    Horstmann arbeitete bis vier Uhr an einer unwichtigen Sache, die er gern erledigt wissen wollte, weil seine Zukunft plötzlich so ungewiss war. Woher sollte er wissen, ob er nach Erhalt des Geldes jemals wieder hier auftauchen würde? Woher sollte er das wissen? Vielleicht fand er eine Frau, die so verrückt war, dass er überhaupt nicht mehr aus dem Bett kam? Das ist möglich, dachte er naiv. Vielleicht würde es geschehen, dass er plötzlich Lust verspürte, einfach zu gehen. So wie ein Wind durch ein Tal streicht, dachte er. Genauso.
    Als er nach Hause fuhr, war er unsicher geworden, denn er wusste wirklich nicht, was werden sollte. Es war nicht einfach, so viel Lust auf so viele Dinge, die quälend in ihm aufgebrochen war, zu dämpfen. Und was würde Binder

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