Der Monat vor dem Mord
dem Schreibtisch das Blatt.
»Man kann es aus Hubschraubern versprühen?«
»Ja. Wir müssen allerdings die Versuche abwarten, wie das Zeug auf die übrige Tierwelt und auf die Pflanzen wirkt.«
»Das weiß ich doch«, sagte der Chef. Es war ihm lästig, immer wieder diese zur Vorsicht mahnende Bemerkung zu hören.
»Horstmann, seien Sie ehrlich! Seien Sie ganz ehrlich!«
»Das bin ich immer.«
»Glauben Sie, dass wir mit Ihrer Lösung durchkommen?«
»Auf jeden Fall«, sagte Horstmann müde. »Ich würde das Patent schnell anmelden lassen. Über kurz oder lang kommt irgend jemand zu einem endgültigen Ergebnis. Es kann sein, dass mein Stoff sogar schon das endgültige Ergebnis ist.«
»Wieso soll irgend jemand auf die endgültige Lösung kommen?« Der Mann hinter dem Schreibtisch war etwas verwirrt.
Jetzt fängt es an, dachte Horstmann mechanisch, während er vollkommen schlaff in dem Sessel sitzenblieb und einen Augenblick die Augen schloss. »Ich habe Sorgen«, sagte er schließlich einfach.
»Sorgen? Was für Sorgen?«
»Persönliche.« Horstmann bemühte sich, so zu reagieren wie eine Puppe. Er bemühte sich, den Eindruck zu erwecken, als sei der andere ohnehin nicht imstande zu begreifen, was ihn bedrückte.
»Dass es persönliche sind, ist klar«, sagte der Mann hinter dem Schreibtisch. »Können Sie mir mehr sagen?«
»Es ist schwer zu erklären«, sagte Horstmann. »Ich möchte Sie bitten, mir meinen Jahresurlaub zu geben.«
»Etwa jetzt?«
»Jetzt. Ich muss verschiedene Geschichten regeln. Sie sind rein privater Natur.«
Der Mann begann jovial. »Also irgendetwas mit Ehe und den Kindern?«
»So ungefähr«, sagte Horstmann, »aber ich möchte Sie nicht langweilen. Ich habe noch vierunddreißig Werktage Urlaub.«
»Aber doch jetzt nicht!« Der Chef war einigermaßen verzweifelt.
»Die Kollegen haben meine chemische Grundlage«, sagte Horstmann. »Die werden genau wissen, was damit zu machen ist.« Er dachte: Es ist das Beste, ihn einfach zu erpressen. Und es kann getrost wie eine Erpressung aussehen. Erpressung traut er mir nicht zu. Wenn ich eine Erpressung starte, wird er glauben, ich sei weltfremd. Aber auf die Idee einer wirklichen Erpressung kommt er nie. Mit dem Namen Horstmann verbindet man keine Erpressung. Mein Gott, diese Arschlöcher haben nicht die geringste Ahnung, wer ich wirklich bin. Es ist merkwürdig, dass man mit Menschen und ihren Reaktionen besser Schach spielen kann als mit den Puppen aus Holz.
7. Kapitel
Der Chef wollte nicht begreifen, dass Horstmann um Urlaub bat. Es war eine persönliche Beleidigung, so wie alles, was ihm im Betrieb widerfuhr, unmissverständlich gegen ihn selbst gerichtet schien.
»Aber das geht nicht«, sagte er heftig. »Es kann doch nicht so schwierig sein, Ihnen zu helfen. Sie müssen sich jetzt den Kopf freihalten für die Sache mit den Kiefernfressern.«
Horstmann hob den Kopf. »Sie kennen mich ziemlich genau«, sagte er, »aber wahrscheinlich kennen Sie mich nicht so genau, wie ich es mir wünsche.« Das war zugleich eine Lockung und ein leiser Vorwurf.
»Horstmann«, sagte der Mann im Ton eines sehr jovialen Schullehrers, »rücken Sie doch endlich damit raus. Haben Sie eine Tochter auf dem Strich? Einen Jungen bei der APO? Sind Sie schwul? Entschuldigung.«
»Es ist nichts von alledem«, sagte Horstmann. Er hatte sich setzt ziemlich exakt in die Position hineinmanövriert, die er wollte. Er musste seiner Vorstellung nach jetzt genauso hilflos wirken wie ein Karnickel auf einer völlig flachen, steinharten Ebene, ohne die Chance, sich irgendwo zu verkriechen. Aus dieser Position heraus wollte er erpressen. Er sagte ein wenig mühsam: »Ich sollte Sie vielleicht nicht mit derartigen Dingen behelligen. Sie haben schließlich Wichtigeres zu tun.«
»Das ist doch Blödsinn, Mann!« Es war wie eine Explosion. »Sie sind ein guter Forscher, haben Sorgen und wollen nicht raus damit. Irgendwelche finanziellen Dinge vielleicht?«
Horstmann dachte: Es ist erstaunlich, dass er diese Möglichkeit nur leicht andeutet, wo er doch Kaufmann ist.Oder es ist ganz natürlich. Wenn man von einem Kaufmann Geld will, ist er taub. Er sagte: »Das ist es.«
»Das kann man doch besprechen«, sagte der Mann hinter dem Schreibtisch, »das ist doch nicht die Welt. Wahrscheinlich läuft es doch auf eine Gehaltserhöhung hinaus, oder?«
»Ja«, sagte Horstmann.
»Deswegen brauchen Sie doch nicht gleich so verschämt zu sein. Sie waren längst dran mit
Weitere Kostenlose Bücher