Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Monat vor dem Mord

Der Monat vor dem Mord

Titel: Der Monat vor dem Mord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jacques Berndorf
Vom Netzwerk:
wahr sein«, sagte Horstmann, obwohl er sie genau begriffen hatte und obwohl ihre scheinbar verblüffende Theorie längst Praxis war. Jawohl, sie hatte recht. »Das meinst du doch nicht ernst.«
    Sabine sagte ironisch: »Du bist doch ziemlich klug, nicht wahr? Mach doch keine Show daraus! Du weißt doch, dass es so ist.«
    Ich müsste jetzt platzen, dachte Horstmann. Ich müsste jetzt, verdammt noch mal, platzen. Ich müsste ihr eins über den Mund geben. Ich müsste ihr eine Tracht Prügel auf den Hintern geben, dass sie eine Woche lang nicht sitzen könnte.Ich müsste es tun, aber sie ist doch meine Tochter. Und hübsch ist sie.
    Er sah aus dem Fenster. Immer hatte er die Vorstellung gehabt, dass eine Bank in einem Park der beste Aufenthaltsort für ein Ehepaar mit zwei Kindern war. Man sah sie dort von vorn, von hinten, von der Seite. Sie saßen nebeneinander auf der Bank. Aber er hatte vergessen, dass diese Bank sehr lang war. Man konnte vom Nachbarn wegrutschen. Wie weit konnte man wegrutschen? Und was musste eigentlich geschehen, bis man spürte, dass der neben einem längst weggerutscht war?
    »Ich möchte dich bitten, mich zu verstehen«, sagte er müde. »Es hat keinen Sinn, mir gegenüber ironisch zu sein oder arrogant oder aggressiv.«
    »Ich will es nicht wollen«, sagte sie demütig. Und dann begann sie ein wenig zu weinen, und daraus wurde ein Lachen. Sie sagte: »Verdammte Scheiße! Man heult doch nicht wegen einem solchen Mistvieh von Vater.«
    »Na ja«, sagte Horstmann, und er war glücklich. Hoffentlich kam Maria nicht, hoffentlich blieb sie lange weg. Er würde ihr trauriges und voller Kapitulation stehendes Gesicht nicht ertragen. Nicht jetzt, nachdem dieses langhaarige, so verdammt hübsche Biest ein bisschen geheult hatte. Himmel, er war glücklich. »Bienchen«, sagte er, »was machen wir denn mit Harald?« Es war nicht gut, zu viel Rührung zu zeigen.
    »Du musst mit ihm reden«, sagte sie. »Und er braucht das Geld.«
    »Wie viel kosten eigentlich tausend von so Dingern?«, fragte Horstmann sachlich.
    »Zweitausendachthundert Mark.«
    »Du lieber Himmel«, sagte Horstmann. »Dann wollen wir mal blechen.«
    »Aber du hast nicht so viel Geld«, sagte sie.
    »Ich habe«, sagte Horstmann ruhig. Es war ein erhebendes Gefühl, rotzig und wegwerfend sagen zu können: »Ich habe!« Er kostete das Gefühl eine Weile aus. Plötzlich fiel ihm etwas auf. Er fragte: »Wieso hat Mama mir nichts davon gesagt, dass Harald seit fünf Tagen oben in seiner Bude sitzt und dieses Sauzeug qualmt?«
    »Sie weiß es doch gar nicht«, sagte Sabine, und sie schien sehr heiter zu sein.
    »Das ist doch wohl nicht möglich«, sagte Horstmann ungläubig.
    »Warum nicht?«, fragte Sabine, und ihre Heiterkeit schien sich zu steigern. »Er hat vor einem halben Jahr Mama verboten, seine Bude zu betreten und sein Bett zu machen und Staub zu wischen und so weiter. Er hat gesagt, seine Bude sei seine Sache.«
    »Und Mama hat das hingenommen?«
    »Ja.«
    »Aber sie muss doch merken, dass er das Haus nicht mehr verlässt.« Jetzt war Horstmann erregt. Das war einfach zu viel, es war wirklich zu viel des Guten.
    »Das muss sie nicht«, sagte Sabine. »Denk doch dran, wie es morgens bei uns aussieht. Wenn du ins Werk fährst, geht Mama einkaufen. Wir gehen zehn Minuten später zur Straßenbahn. Aber er geht gar nicht. Ich lache mich immer kaputt, wenn sie mittags die Treppe hinaufruft: ›Harald? Bist du schon da?‹ Und wenn er dann von oben brüllt: ›Seit zehn Minuten!‹ Und wenn sie dann den Kopf schüttelt und sagt: ›Komisch, ich habe den Jungen gar nicht nach Hause kommen hören.‹«
    Horstmann sah wieder aus dem Fenster. Sie hatte recht mit diesen drei Gruppen, von denen sie gesprochen hatte. »Mandarf nicht über Mama lachen«, sagte er, »im Grunde ist es doch traurig, dass so etwas geschieht.«
    »Traurig?« Sie begann zu kichern. »Stell dir doch mal die Szene vor: Sie steht unten und ruft ihn zum Essen. Er sagt, er sei in der Schule gewesen, und dabei hat sie den ganzen Morgen mit Besen und Staubsauger unter seinen Füßen herumgewerkt und nicht gewusst, dass er da ist. Und alles das, weil er ihr verboten hat, sein Zimmer zu betreten. Weil er es abschließt. Ich finde das komisch.«
    Horstmann überlegte einen Augenblick. Schließlich fand er, dass die Sache tatsächlich eine komische Seite hatte, obwohl sie zutiefst tragisch war. Aber das eine schloss das andere nicht aus. Er begann zu lachen. Und schließlich

Weitere Kostenlose Bücher