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Der Monat vor dem Mord

Der Monat vor dem Mord

Titel: Der Monat vor dem Mord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jacques Berndorf
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Mitleid konnte eine blödsinnige Situation nur noch blödsinniger machen. »Leg dich auf den Bauch und stütz die Arme auf! Das Zittern ist ganz normal. Glaub’ nicht, dass esein Zeichen von Charakterschwäche ist. Dein vegetatives Nervensystem funktioniert nicht mehr ganz richtig. Das gibt sich schnell.«
    »Ich kann nicht schlafen«, sagte der Junge.
    »Das könnte ich auch nicht«, sagte Horstmann. »Nicht bei dieser Menge von dem Zeug.«
    »Aber ich will schlafen.« Der Junge machte einen etwas starren Eindruck.
    »Das wirst du in drei oder vier Tagen wieder können«, sagte Horstmann. »Aber kauf keine neuen Zigaretten. Sie machen dich nur kaputt.«
    »Hasch macht nicht süchtig«, sagte der Junge. Das klang sehr ernst und sehr endgültig.
    Horstmann setzte sich auf einen Stuhl und begann leise zu lachen. Er war stolz auf sich. Er sagte: »Es gibt nichts Dümmeres als unqualifizierbares Blabla. Du kannst mit Alkohol, mit Nikotin, mit Pervetin, mit Tranquilizern, mit Hasch und so weiter und so fort alles in allem nur eines erreichen: eine zunächst sanfte Form von Vergiftung. Was danach folgt, ist erst einmal ein Psychiater und dann möglicherweise ein Krankenhaus. Dann bist du nämlich krank oder ein Neuröschen auf der Heide.«
    Er warf seinen Zigarettenrest in den Eimer zu der sumpfigen Masse Haschisch. »Ich gebe zu, dass dieser Prozess Jahre dauert oder zumindest dauern kann. Aber er ist ebenso unaufhaltsam wie in früheren Jahrhunderten der Wundbrand.«
    Er fand, dass er das gut formuliert hatte.
    »Du musst es wissen«, sagte der Junge. Er war plötzlich müde.
    »Ich weiß es«, sagte Horstmann, und ganz vage stieg ein Verdacht in ihm hoch. »Ich beschäftige mich in meinem Berufunter anderem damit, Nervensysteme zu zerstören. In der letzten Nacht habe ich gerade eine neue Zerstörungsmethode gefunden. Es ging um einen Kiefernfresser, einen Schädling.«
    »Und warst du gründlich genug?«
    »Aber ja«, sagte Horstmann. »Er ist tot. Sag mal, was hast du eigentlich die ganze Zeit über gedacht, als du hier auf dem Bett lagst?«
    »Ich weiß nicht«, sagte der Junge. »Manchmal dachte ich angenehme Sachen, und manchmal dachte ich weniger angenehme. Es kam darauf an.«
    »Wieso hast du so viele Schulden gemacht?«
    »Ich weiß es nicht. Ich wollte nur mit den Dingern hier sein und sie Stück für Stück qualmen.«
    Horstmann beschlich wieder der Verdacht. »Wolltest du dich umbringen?«

9. Kapitel
    Harald drehte das Gesicht zur Wand, was ein wenig theatralisch wirkte, da er doch nicht mehr auf dem Bett lag, sondern aufrecht saß. »Ich wollte mir nicht das Leben nehmen. Jedenfalls habe ich das nicht deutlich gedacht.«
    »Dann waren es Depressionen«, sagte Horstmann schnell. Bloß nicht daran denken, dass der Junge ...
    »Es waren Depressionen«, sagte der Junge.
    »Und du hast gewartet, nicht wahr?«, fragte Horstmann. Er war jetzt unpersönlich und kühl, und er war erstaunt, dass er so sein konnte, obwohl er doch diesen Sohn liebte.
    »Was meinst du damit?«
    »Ich werde es dir erklären«, sagte Horstmann. »Du hast gewartet, dass irgend jemand kommt und irgendetwas explodiert. Du hast gewollt, dass ich dich schlage.« Es war so einfach. Es konnte gar nicht anders gewesen sein. Aber der Junge antwortete nicht. Horstmann fuhr fort: »Und am allerwenigsten hast du erwartet, dass ausgerechnet ich es sein würde, der das tat. Damit hast du nicht gerechnet. So ist das.«
    Es dauerte sechzig oder achtzig Sekunden, es dauerte unendlich lange, bis der Junge sagte: »Ich glaube, ich habe gewollt, dass jemand hier hereinkommt und mich verprügelt. Ich hätte nicht gedacht, dass du so viel in den Knochen hast. Du hast einen ganz schönen Bums.«
    »Ich war auch ganz schön wütend«, sagte Horstmann und war sehr zufrieden mit sich selbst.
    »Mir ist schlecht.« Der Junge stand auf und lief an Horstmann vorbei die Treppe hinunter.
    Horstmann trompetete ihm ein fröhliches Gelächter hinterher. Es war lange her, seit er in diesem Haus so angenehmeMinuten verbracht hatte. Es war verdammt angenehm, den Kindern helfen zu können. Er hatte zwar den unbestimmbaren Verdacht, dass er sehr selbstsüchtig dachte und sich durchaus nicht darüber klar war, ob er richtig handelte, aber er verdrängte diesen Gedanken schnell.
    Der Junge kam wieder, grinste matt und ließ sich auf das Bett fallen. Er sagte: »Warum wird das Zeug nicht einfach verboten?«
    »Man kann es verbieten«, sagte Horstmann melancholisch. »Aber man

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