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Der Mond bricht durch die Wolken

Der Mond bricht durch die Wolken

Titel: Der Mond bricht durch die Wolken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edmund Crispin
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wohl kühlen Kopf behalten. Das waren sie aber nicht. Die meisten Zeugen hatten das Verbrechen in Begriffen des wildesten Melodrams ausgelegt, und ihre Übertreibungen waren von den Reportern komplett geschluckt worden. Und nun wurde dieser ganze Unsinn vor Ling ausgebreitet, von dem man erwartete, daß er bestätigte oder bestritt; und seine Versuche, die Fragen auf eine realistischere Ebene zurückzudrängen und sie gleichzeitig nicht zu beantworten, machten ihn zusehends unbeliebter. Er hätte ganz einfach den Kopf schütteln und es den Reportern überlassen sollen, in ihre Artikel an Einfältigkeiten hineinzuschreiben, was ihnen gefiel. Statt dessen versuchte er die Lage zu meistern und versank immer tiefer im Treibsand wortreicher Unverständlichkeit. Seine große Pfeife ging aus, auf seiner Stirn entstand Schweißglanz, und seine Gesprächspartner wurden immer unruhiger.
    Ticehurst saß rechts von Ling an einem kleinen Tisch auf einer improvisierten Plattform, die laut knarrte, sobald sich jemand bewegte. Widger, steif vor Verlegenheit und ein entschlossener Nicht-Beiträger zu den Vorgängen, saß auf der anderen Seite. Während Ling sich immer mehr verhaspelte, gerann Ticehursts Gesicht zu einer Maske der Betroffenheit, und als er es nicht mehr aushielt, zupfte er Ling verstohlen am Ärmel. Ling war gerade bemüht, mit einer Gruppe von Reportern zurechtzukommen, die Scorer vorgeführt haben wollte, und es dauerte eine Weile, bis er sich seinem Pressesprecher widmen konnte.
    »Sagen Sie einfach >Kein Kommentar«!« zischte ihm Ticehurst ins Ohr. »Sagen Sie immer wieder >Kein Kommentar    »Was Scorer betrifft«, sagte Ling zur Versammlung, »so ist er ein KEIN KOMMENTAR.« Es war, als bremse ein Motorradfahrer in voller Fahrt schlagartig ab.
    Ein Stöhnen erhob sich, und die Reporter funkelten Ticehurst an. Sie versuchten es noch einige Minuten lang, aber Ling hatte verspätet gelernt: Gleichgültig, was sie auch fragen mochten, er antwortete beharrlich mit >Kein Kommentar«. Widger und Ticehurst lehnten sich unter heftigem Knarren des Podiums zutiefst erleichtert zurück. Zwischen den standhaft wiederholten >Kein Kommentar« vermochte Ling sogar seine Pfeife wieder anzuzünden. Schließlich, durch seinen Erfolg ermuntert, war er kühn genug, auf seine Uhr zu blicken, aufzustehen und zu sagen: »Vorerst nichts weiter, meine Damen und Herren, tut mir leid. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.« Damit knarrte er vom Podium, gefolgt von Widger und Ticehurst, und zwängte sich zwischen den Gruppen murrender Reporter zur vergleichsweisen Stille der Eingangshalle hindurch.
    »Das ging doch ganz gut, nicht wahr?« sagte er zu Widger.
    Widger schluckte. »Finden Sie?«
    »Allerdings. Sehr gut.«
    Ticehurst holte sie ein und blickte nervös über die Schulter auf die Vorhut der unzufrieden aus dem Saal strömenden Reporter.
    »Na, ich gehe jetzt, Eddie, wenn es Ihnen nichts ausmacht«, sagte er und watschelte, ohne eine Antwort abzuwarten, mit erstaunlicher Schnelligkeit zum Ausgang und in die Nacht hinaus. Widger glaubte, ihn sogar zu seinem Auto laufen zu hören.
    »Verzeihen Sie, Sir«, sagte Sergeant Connabeer zu Ling, »aber was soll ich mit Scorer machen?«
    »Erwähnen Sie den Namen nicht vor mir.«
    »Wo ist Scorer jetzt?« fragte Widger.
    »Ich habe ihn eingesperrt, Sir.«
    »Gut«, sagte Ling.
    »Warten Sie, bis alle Reporter fort sind«, sagte Widger, »dann lassen Sie ihn heraus und schicken Sie ihn nach Hause.«
    »Mit einem Dienstfahrzeug, Sir?«
    »Keinesfalls. Es gibt am Sonntag abend einen Bus nach Burraford, den kann er nehmen.«
    »Sehr wohl, Sir.«
    »Kein Kommentar«, sagte Ling zu einem Reporter, der mit einer Frage über die Identifizierung der Leiche an ihn herangetreten war. »Charles, es wird Zeit, daß wir gehen. Holen Sie lieber den… dieses Ding aus Ihrem Büro.«
    »Ja, gut«, sagte Widger und ging zur Treppe. Als er hinaufstieg, hörte er in der Halle Stimmengewirr und mehrmals Lings Stimme, die »Kein Kommentar« sagte.
    Widger schloß die Tür zu seinem Büro auf, griff nach dem Sack, wog ihn in der Hand, stellte ihn, einem Impuls folgend, auf den Tisch und öffnete ihn. Später sollte er sich sagen, daß dieser Impuls eine unterschwellige Vorahnung des noch bevorstehenden Ärgers gewesen sein mußte; im Augenblick begründete er ihn mit dem Gedanken, daß der Kopf seit seiner Entdeckung überaus sorglos sogar nachlässig behandelt worden war und es ihm oblag, alle erdenkbaren

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