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Der Mond bricht durch die Wolken

Der Mond bricht durch die Wolken

Titel: Der Mond bricht durch die Wolken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edmund Crispin
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belaubt; es war wahrhaftig ein ausgefallener Herbst. Bald gab es keinen Verkehr mehr, und die Häuser hier in der Gegend fast nur Bauernhöfe wurden immer seltener. Es war eine einsame, dünnbesiedelte Gegend, und Widger war froh, daß er vor vierundzwanzig Stunden beim Transport der Leiche zu Sir John beim Fahrer des Ambulanzwagens gesessen und sich den Weg gemerkt hatte.
    Von dem großen Mann hatte er bei dieser Gelegenheit nicht viel gesehen. Die Tür war ihm von einem grobknochigen, stummen, blonden Diener geöffnet worden, der die Lampe über der Tür angeknipst und bedeutungsvoll genickt hatte und zur Ambulanz gegangen war, um dem Fahrer und dem von Widger mitgebrachten Constable zu helfen, die in Kunststoffsäcke gehüllten Überreste ins Haus zu schaffen. Widger hatte gewartet, und Sir John war schließlich erschienen, mit einem ausgestreckten Zeigefinger einen großen Rollwagen mit Gummireifen schiebend. Er war hochgewachsen, schmal, hager, kahlköpfig und leichenblaß, mit sehr großen, weit auseinanderstehenden bräunlichen Schneidezähnen, die er Widger mehr mit einer Grimasse als einem Lächeln zeigte, als er ihm guten Abend wünschte. Er hatte zugesehen, wie das Opfer auf seinen Wagen gehoben worden war, sich kurz einen Bericht über Art und Weise des Leichenfundes geben lassen, sobald wie möglich eine Stellungnahme versprochen, der Leiche einen freundschaftlichen Klaps auf den Bauch gegeben, gute Nacht gesagt und Widger die Tür vor der Nase zugemacht.
    Unter diesen Umständen hatte Widger wenig Gelegenheit gehabt, sich umzusehen. Er wußte aber schon von der exzentrischen Art, in welcher der berühmte Pathologe, der so viele Jahre Starzeuge im Old Bailey gewesen war, seinen Ruhestand verbrachte. Er wußte davon, weil der nächste Nachbar Sir Johns, ein kluger, freundlicher Farmer namens Boddy, den Widger sehr mochte, ihm allerhand erzählt hatte. Sir John war begütert und hatte, nachdem er sich aus London zurückgezogen hatte, mehr oder weniger das getan, was ihm beliebte; und es hatte ihm beliebt, an der entlegensten Stelle, die er finden konnte, einen riesigen, aufgegebenen Kalkstein-Steinbruch zu kaufen und ein großes, aus Zedernholz bestehendes Haus im Ranch-Stil zu errichten. Es setzte sich zusammen aus drei Teilen: Auf der linken Seite stand eine Garage für drei Fahrzeuge, angeschlossen durch einen kurzen überdachten Bogengang war der gewaltige Mittelteil des geräumigen, luxuriös eingerichteten Wohnhauses, und daran wiederum schloß sich, abermals mit einem Bogengang, ein eigener Bau mit drei Laboratorien und einem Büro an. Da Sir John von Gärten nichts verstand, hatte er den ganzen Gebäudekomplex mit einer weiten Betonfläche umgeben. Der Betonsockel enthielt ein kompliziertes System von Kanälen und Abwassergräben, um das Regenwasser zu bewältigen, das an drei Seiten des Steinbruchs herabströmte.
    Und was fängt dieser reiche Eremit mit seiner Zeit an? dachte Widger, als er das Lenkrad des Cortina drehte, um die letzte Kurve hinter sich zu bringen. Ah, das wußte Widger. Sir John forschte. In seinen Laboratorien stellte er Experimente an – Experimente, die alle mit seiner lebenslangen Beschäftigung, dem Verbrechen und ganz besonders mit Mord, zusammenhingen. Widger hatte die Gerichtsmedizin stets als einen der interessantesten Aspekte der Kriminalistik betrachtet, und er verstand weit mehr davon als der durchschnittliche Kriminalbeamte. Nach Widgers letzten Informationen war Sir John zur Zeit damit beschäftigt, die degenerativen Veränderungen getrockneten Blutes in einer Zeittabelle zu erfassen, unter Berücksichtigung von Temperatur und anderen äußeren Einflüssen. Gewiß, soviel Widger wußte, hatte er darüber noch nichts publiziert, aber trotzdem schien er der ideale Mann dafür zu sein, sich mit den forensisch-pathologischen Seiten des Botticelli-Mordes zu befassen. Weit mehr etwa als Easton, der eigentlich zuständige Mann. Easton war tüchtig, aber auch viel zu beschäftigt, um mehr als die gewohnte Routinearbeit zu leisten.
    Und jetzt waren sie da.
    Sir John hatte keine Einfahrt lediglich einen Betonfinger ohne Tor, der die Straße hinunterwies. Widger bog auf diesen Finger ein und fuhr mit dem Wagen bis vor die Haustür. Das Ganze sah verlassen aus; man sah kein Licht aber vielleicht waren die Fenster dicht verhängt.
    Als die Bewegung aufhörte, der Motor und die Scheinwerfer abgeschaltet waren, bewegte Ling sich. Widger vermutete, daß er geschlafen hatte. Er

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