Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Mond im See

Titel: Der Mond im See Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Danella Utta
Vom Netzwerk:
große dunkle Brille. Sie entstellt das Gesicht.«
    »Natürlich. Aber die Zeichner von der Polizei haben das Gesicht nun nach verschiedenen Richtungen hin vervollständigt. Mit ganz verschiedenen Augenpartien, Sie verstehen? Ist natürlich eine unsichere Sache. Wäre Zufall, wenn man es richtig trifft. Aber versuchen muß man es immerhin.«
    »Eine gefährliche Sache«, sagte Annabelle. »Vielleicht kommt ein ganz anderes Gesicht dabei heraus.«
    »Schon möglich«, sagte Herr Baumer. »Aber diese sogenannte Krankenschwester, die hier bei René war, die haben Sie doch ohne Brille gesehen. Und öfter, nicht wahr?«
    »Ja, schon«, sagte ich und wunderte mich, worauf er hinauswollte.
    »Könnten Sie nicht mal versuchen, von der eine Skizze zu machen? Angenommen, man würde es dem anderen Konterfei beifügen, könnte ja sein, die beiden sind irgendwo bereits als Doppel aufgetreten.«
    »Ich könnte es heute abend mal versuchen.«
    »Versuchen Sie es gleich«, rief der Kriminalrat temperamentvoll. »Jonny hat sicher ein Stück Papier für Sie. Und vielleicht können wir Ihnen helfen, wir haben sie schließlich auch gesehen.«
    Jonny hatte Papier und Bleistift. Aber es fiel mir schwer, zu zeichnen, wenn alle mir zusahen. Ich zerknüllte mehrere Bogen und fing immer wieder von vorn an. Das Gesicht des Mannes mit der Sonnenbrille war markant gewesen, auch ohne die Augen. Das Gesicht von Dorette? Hübsch. Ebenmäßig geformt. Aber viel mehr wußte ich nicht. Wie war die Nase gewesen? Wie der Mund? Und die Augen, hell oder dunkel? Verdammt, so genau hatte ich sie nun auch nicht angesehen. Das einzige, was ich noch wußte, waren die hellblonden Löckchen unter der Schwesternhaube.
    Der fünfte Versuch endlich schien einigermaßen zu gelingen. Annabelle sagte: »Der Mund war größer. Nicht so kindlich. Mehr erfahren.«
    »Und die Augen?« fragte ich.
    »Dunkel«, warf Jonny plötzlich ein. »Fast schwarz.«
    Er hatte seinen Platz hinter der Bar verlassen und blickte mir über die Schulter.
    »Wirklich?« fragte ich zweifelnd.
    Ich begann noch einmal von vorn. Der Mund größer, die Augen dunkel, die blonden Löckchen – irgendwie paßte das Gesicht nicht zusammen.
    »Ich hab's!« rief Jonny plötzlich und fiel mir fast ins Whiskyglas, »die Haare müssen schwarz sein. Ganz schwarz.«
    »Unsinn«, sagte ich. »Die Haare waren blond.«
    »Das ist es ja, was mich irregeführt hat. Jetzt weiß ich, woher ich sie kenne. Die Haare sind schwarz. Passen Sie auf, dann wird das ganze Bild richtig.«
    »Sie kennen sie?« fragte der Kriminalrat erregt.
    »Natürlich. Ich habe die ganze Zeit gewußt, daß ich sie kenne. Oder besser gesagt, daß ich ihr begegnet bin. Aber ich dachte immer, sie sei irgendwo mein Gast gewesen. Das hat mich irritiert.«
    »Und was war sie wirklich?«
    »Eine Kollegin! Ha!« Jonny fuhr sich mit dramatischer Gebärde ins Haar. »Natürlich! Die Kuchenverkäuferin!«
    »Die Kuchenverkäuferin?«
    Jonny lachte aufgeregt. »Jetzt hab' ich's. Santa Maria!« In der Erregung verfiel er in sein heimisches Italienisch und sprudelte einen Haufen Sätze hervor, die wir nur halb verstanden.
    »Also mal langsam, schön der Reihe nach«, sagte der Kriminalrat. »Wer ist die Frau? Woher kennen Sie sie?«
    »Es ist lange her. Etwa zehn Jahre. Ich war damals noch nicht Mixer, sondern arbeitete als Kellner. Eine Saison war ich in Ascona. Im Hotel Schiff. Und im Café nebenan war ein blutjunges Ding, bildhübsch, schwarze Haare, schwarze Augen, sehr herausfordernd, aber fürchterlich ungebildet. Sie kam eben aus einem Dorf, hatte ihre erste Stelle. Sie arbeitete als Kuchenverkäuferin. Ich weiß es noch genau, viele Männer machten ihr schöne Augen. Besonders ein Kollege von mir war ganz verrückt nach ihr. Eine Weile war auch ein bißchen was los zwischen den beiden, aber dann hatte sie sich einen Gast angelacht, einen schon etwas bejahrten Herrn, der dort zum Urlaub war. Erst klimperte sie mit einem Armbändchen, dann baumelte was an ihren Ohren, dann hatte sie ein neues Fähnchen. Sie kam unregelmäßig zur Arbeit, eines Tages fuhr sie mit dem Dicken in seinem Wagen über die Piazza. Und dann war sie verschwunden. Tonio war ganz verzweifelt. Und wir lachten ihn aus.«
    »Großartig!« lobte der Kriminalrat. »Sehr gut! Und jetzt, mein Lieber«, sagte er zu mir, »machen Sie noch ein Bild.«
    Unter Jonnys Anleitung entstand die Zeichnung zum siebentenmal. Eine rasante schwarzhaarige Person mit dunklen Augen und einem

Weitere Kostenlose Bücher