Der Mond im See
im Gras.
»Ich wollte bloß mal hören …«, sagte er, und es klang direkt schüchtern. »Eine Woche ist es jetzt her.«
»Ja. Leider wissen wir noch nichts.«
Ich überließ ihn Tante Hille, die ihn zum Kaffee einlud. Sie würde vermutlich den Fall mit ihm durchsprechen, von vorn bis hinten und wieder zurück.
Ich begab mich ins Bad, und wirklich kreuzte Ilona dort gegen halb fünf Uhr auf. Wir schwammen zusammen weit in den See hinaus. Anschließend zogen wir uns wieder an, spazierten ein Stück durch den Park und gerieten auf den kleinen Pfad, wo ich sie am Abend getroffen hatte, damals, an dem Tage, wo wir Monsieur Bondy im Apfelkammerli gefunden hatten und sie mir erzählte, daß er eigentlich jemand anders sei.
Wir sprachen auch jetzt von ihm. »In Paris hat man inzwischen allerhand über ihn ermittelt. Nachdem er seine Frau verlassen hatte, wohnte er in einem kleinen Hotel am Montparnasse. Damals beschäftigte er sich mit Rauschgifthandel.«
»Wirklich, ein feiner Herr«, meinte Ilona.
»Kann man wohl sagen. Ich glaube, wir brauchen um ihn nicht zu weinen. Die Welt hat nicht viel an ihm verloren. Aber jetzt – passen Sie auf, jetzt kommt's. Man hat herausgefunden, daß er gelegentlich mit einem Mann gesehen wurde, einem sehr gutgekleideten, offensichtlich wohlhabenden Herrn, der in einem der teuersten Hotels von Paris gewohnt haben soll. Und jetzt versucht man herauszufinden, anhand der Skizze, die ich von dem Unbekannten gemacht habe, ob es der vielleicht war.«
»Erstaunlich, wie die arbeiten«, sagte Ilona. »So Stückchen für Stückchen setzen sie zusammen. Eigentlich bewundernswert.«
»Ja, das ist es. Nur hilft uns das leider nicht weiter. Es hilft uns vor allem nicht, René zu finden.«
Jedoch am Abend geschah es. An diesem Sonntagabend, zur Aperitifstunde, ereignete sich endlich etwas, daß uns weiterhalf. Ich saß in der Bar bei Jonny. Ilona hatte mich nicht begleiten wollen. Sie meinte: »Madame de Latour würde es bestimmt nicht gern sehen, daß Angestellte in der Bar sitzen.« Ich konnte dagegen nichts sagen. Es stimmte wahrscheinlich.
Also hatte ich mich allein hingesetzt, etwas später kam Annabelle, gefolgt von ihren Freunden. Sie wirkten alle drei etwas gelangweilt. Es war die Rede von der morgigen Abreise, und ich entnahm dem Gespräch, daß Annabelle sich immer noch nicht entschieden hatte, ob sie mitfahren würde oder nicht.
»Vielleicht komme ich bald nach«, sagte sie vage.
Leise fügte sie hinzu: »Ich habe Angst. Angenommen es ist wirklich – ich meine, René ist wirklich etwas passiert. Stellt euch das bloß vor. Ich möchte nicht hier sein, wenn sie es erfahren.«
»Das Kind lebt bestimmt nicht mehr«, sagte Bill. »Ihr könnt es mir glauben.«
»Was für ein Unsinn!« sagte Yves. »Kein Mensch würde das Kind ermorden. Sie wollen doch nur Geld.«
»Ihr werdet ja sehen«, sagte Bill finster.
Wir bestellten noch eine Runde Whisky und konnten uns nicht entschließen, zum Essen zu gehen, obwohl längst Dinnerzeit war. Keiner von uns hatte Appetit.
Plötzlich kamen Jacques und Herr Baumer herein. Auf irgendeine Weise, in einem Gemisch aus Deutsch und Französisch, gelang es ihnen jetzt, sich einigermaßen zu verständigen.
Herr Baumer sah sehr angeregt aus. Er machte mir den Eindruck, als hätte er brauchbare Neuigkeiten erfahren. Aber zunächst sagte er nichts, stellte sich neben uns zu Jonny an die Bar und verlangte ein Bier. Jacques setzte sich auf einen Barhocker und bestellte Whisky.
»Nun?« fragte Annabelle. »Wie geht es Renate?«
»Sie schläft ein bißchen«, antwortete Jacques.
Keiner sagte mehr etwas. Ich dachte: Ob morgen wieder ein Brief kommt? Ob man Renate wieder irgendwo hinbestellt? Vielleicht diesmal mitten in der Nacht an eine einsame Stelle der Straße? Es war zuviel, was dieser Frau zugemutet wurde.
Der Kriminalrat, an die Bar gelehnt, nahm einen langen Zug aus seinem Bierglas. Dann zündete er sich eine Zigarre an, paffte ein paar Züge und blickte dabei gemächlich von einem zum anderen. Ich sah, wie Annabelle unter seinem prüfenden Blick die Stirn runzelte, wie Bill ihn freundlich angrinste und Yves sich nervös mit seiner Zigarette beschäftigte.
»Ach, übrigens, Herr Ried«, sagte der Kriminalrat plötzlich zu mir, »Sie haben doch da so eine Zeichnung von dem Mann mit der Sonnenbrille gemacht. Soll ganz gut geworden sein.«
»Das kann ich nicht sagen«, sagte ich. »Ich habe den Mann ja leider nie ohne Brille gesehen. Eine
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