Der Mond im See
Wenn es wahr ist, was in dem Brief steht, daß der Fahrer des Wagens keine Ahnung hat, was vor sich geht, dann wird er auch keinen der Beteiligten kennen. Weder Sie noch mich.«
»Und wie wird er mich erkennen?« fragte Renate.
»Sie können ihm ein Bild von dir gezeigt haben. Oder es ist eben doch kein Unbeteiligter, was ich im stillen denke. Es könnte doch auch dieser verschwundene Pferdepfleger sein, nicht wahr? Er wäre als Bote doch sicher geeignet. Oder sogar Ihr Unbekannter mit der Sonnenbrille.«
»Das glaube ich nicht«, sagte ich, »der geht bestimmt kein Risiko ein. Aber Jeannot – das wäre möglich. Vielleicht könnte ich ihn in meinem Wagen verfolgen?«
»Besser nicht. Denn das gefährdet ja die ganze Aktion. Er würde es sicher merken.«
»Na ja, warten wir mal ab.«
Um sie ein wenig abzulenken, erzählte ich ihnen noch von Amigos Suchausflug an den See und wie ich ihn gefunden hatte. Renate war gerührt. Ihr Gesicht wurde weich. »Er hat René nicht vergessen und hat ihn gesucht.«
Am nächsten Vormittag fuhren wir nach Zürich. Jacques und Renate in einem Wagen, ich in meinem. Wir fuhren zu verschiedenen Zeiten ab und trafen auch keine Verabredung für Zürich.
Um es kurz zu machen: Nichts geschah.
Renate stand eine Stunde lang auf der Brücke. Sie blieb dicht am Randstein, sie ging auf und ab, eine schmale Gestalt in einem grauen Kostüm. Sie blickte jedem Auto entgegen, sie sah ihm nach. Es muß eine furchtbare Stunde für sie gewesen sein.
Ich lief auf dem Stück zwischen der Brücke und der Einmündung der Bahnhofstraße hin und her. Auch ich musterte jeden Wagen, der kam, jeden, der ging, jeden, der an der Ampel hielt. Ich rauchte eine Zigarette nach der anderen, meine Hände zitterten, und meine Nerven waren zum Zerreißen gespannt.
Aber nichts geschah.
Etwas nach halb vier sah ich beide, Renate und Jacques, auf mich zukommen. Er mußte Renate stützen, sie schwankte. Ihr Gesicht war weiß, und ihre Augen brannten wie schwarze Löcher darin. Wir gingen bis zum Baur au Lac, setzten uns in die halbdunkle leere Bar. Renate rührte sich nicht, die Tränen liefen ihr übers Gesicht.
Jacques hatte sie an sich gezogen und streichelte sie. Er bestellte Kognak und Kaffee für uns, wir zwei Männer redeten, ließen Renate Zeit, sich zu beruhigen.
»Sie haben es sich anders überlegt«, meinte Jacques schließlich. »Es war riskant. Sie haben es nicht gewagt. Sicher sind sie an uns vorbeigefahren. Was meinen Sie?«
Ich hob die Schultern. »Keine Ahnung. Ich habe niemanden gesehen, den ich kenne. Und was nun?«
»Ja, was nun? Wir müssen weiter warten.«
Warten auf einen neuen Brief. Einen neuen Termin. Auf ein Wunder, das René retten würde.
Zwischen uns stand auf einem Stuhl eine hübsche braune Ledertasche, wie eine zierliche Schultasche für ein junges Mädchen sah sie aus. Niemand sah ihr an, daß sich eine Million Franken darin befand.
»Das hätte ich Ihnen vorher sagen können«, meinte Herr Baumer, als wir am Abend von unserem Unternehmen berichteten. »Solche Sachen klappen meist nicht. Sehen Sie, die Verbrecher haben Angst. Sie schwimmen, das merkt man deutlich, denn das ist jetzt der schwierigste Teil ihres Unternehmens. Ein Kind entführen bereitet meist keine große Schwierigkeiten. Aber an das Geld zu kommen, ohne dabei erwischt zu werden, das ist eine verflucht schwere Aufgabe. Das haben sie sich vorher nicht gründlich genug überlegt. Eine Brücke in Zürich! Du lieber Himmel! Sie trauen sich nicht, die Brücke zu betreten, das war zu erwarten.«
»Und nun?«
»Hm«, er schüttelte sorgenvoll den Kopf. »Das ist es eben. Je länger es dauert, um so mehr zerrt es auch an ihren Nerven. Der Junge wird zu einer unerträglichen Belastung. Das Geld rückt immer ferner. Zum Teufel, was tun wir bloß?«
Der Kriminalrat aus Frankfurt schien längst vergessen zu haben, daß er eigentlich a.D. war. Auch daß sein Urlaub vorüber war. Er war ständig auf der Achse, ich wußte bei weitem nicht alles, was er unternahm, allein oder gemeinsam mit Kommissär Tschudi und anderen Kollegen. Was für Berichte er bekam, welche Informationen ihm zugänglich waren. Und schließlich – was für Gedanken er sich machte. Das wurde am nächsten Abend, es war Sonntag und eine ganze Woche nach Renés Verschwinden, deutlich.
Wir hatten den Tag allesamt auf trübsinnige Weise verbracht. Am Morgen war ich allein geritten. Annabelle ließ sich mit Kopfschmerzen entschuldigen. Ihre Freunde, Mr.
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