Der Mond im See
Bondy getötet hatte. Ich wußte auch, daß ich aufstehen mußte, den Fremden festhalten oder niederschlagen, dann ins Haus gehen, um dem armen Bondy zu helfen, ihn aus dem Apfelkammerli befreien. Aber ich saß wie gelähmt in meinem Liegestuhl und starrte nur auf den Mann an der Tür, den ich ganz deutlich vor mir sah, das markante Gesicht, die Figur mittelgroß und drahtig, das Haar dunkel, und schwarz die Brille im sonnengebräunten Gesicht.
Nun kam er auch noch auf mich zu, langsam und drohend, pflanzte sich vor meinem Liegestuhl auf, blickte auf mich herab, und ich sah, daß seine Hände voll Blut waren. Jetzt würde er mich auch töten. Ich kämpfte verzweifelt, um aufzustehen, doch ich konnte mich nicht rühren. Plötzlich wandte sich der Fremde ab und ging rasch fort.
Es war nicht, als ob ich schlief und träumte. Ich war wach, sah alles ganz deutlich. Sah, wie er vom Rasen ging, am Haselnußbaum vorbei, die Einfahrt entlang. »Halt!« wollte ich schreien. »Stehenbleiben!« Aber ich konnte keinen Laut herausbringen. Erst wie er nicht mehr zu sehen war, gelang es mir, aufzuspringen und ihm nachzulaufen. Vor dem Haus, auf der Straße, war er nicht mehr. Aber dann sah ich ihn unten, weit weg, am Ufer des Sees. Er war nicht mehr einzuholen.
Doch. Direkt vor mir, am Geländer des Balkons war Bojar angebunden. Ich machte ihn los, und schon saß ich auf und flog in gestrecktem Galopp den Hang zum Gemüseland hinab, quer durch die Gemüsebeete, stracks auf den See zu. Hinter mir bellte es, und schon schoß Amigo an mir vorbei, er konnte schneller laufen als Bojar und war vor uns am Ufer. Wir kamen zu den Seerosen, ich sprang von Bojar hinab, und da war auf einmal der Fremde vor mir, er stand bis zu den Hüften im Wasser, und halb im Wasser liegend schwankte Annabelle, deren Hals er mit seinen Mörderhänden umklammert hielt.
Amigo sprang bellend ins Wasser, aber dann war Annabelle verschwunden – ertrunken – in Luft aufgelöst –, sie war weg, statt dessen saß der Fremde in einem Boot, das er hastig in den See hinausruderte, und neben ihm saß die blonde Dorette und lachte aus vollem Halse. Ich stand verzweifelt im Wasser und sah ihnen nach und überlegte, wie ich sie einholen könnte. Plötzlich schwamm von der Seite jemand auf mich zu, ich sah, es war Ilona, sie teilte mit raschen Schlägen das Wasser, sie winkte mir: »Wir müssen schwimmen, schwimmen!«
Ich ließ mich fallen und schwamm ihr nach, so schnell ich konnte. Aber ihre weiße Badekappe wurde immer kleiner vor mir, auch das Boot war nicht mehr zu sehen. Dafür begann der See sich zu rühren, er war nicht mehr still und friedlich, er hatte auf einmal Wellen, hohe, schwarze Wellen, die über mich hereinstürzten, auch der Himmel war dunkel, es blitzte, und es donnerte, der See war ein tobendes Meer, das mich verschlang.
Ich kämpfte verzweifelt um mein Leben, aber ich mußte untergehen.
Ich erwachte davon, daß ich wild mit den Armen ruderte und beinahe vom Liegestuhl gefallen wäre. Ich war naßgeschwitzt, mein Herz klopfte.
So was! Ich schüttelte den Kopf über mich selbst und versuchte den Traum zu rekonstruieren. Was man für eine Fantasie entwickelte, wenn man schläft. Dann merkte ich, wie drückendheiß es war, selbst hier im Schatten der Apfelbäume. Kein Lüftchen regte sich. Ob es wieder ein Gewitter geben würde?
Ich stand auf, reckte mich, merkte, daß ich Kopfschmerzen hatte. Kam selten vor. Der Himmel war noch blau, aber als ich vors Haus ging, sah ich, daß fern, ganz fern im Norden, über der Ebene ein dunkler Strich hing.
Offenbar hielt dieser Tag noch Donner und Blitz für uns bereit, genau wie der gestrige.
Tante Hille kam von ihrem Mittagsschläfchen aus dem Haus, wie immer mit dem gelben Strohhut angetan, aber da es Sonntag war, gab es keine Gartenarbeit, sondern sie brachte sich ein Buch mit und setzte sich nun ihrerseits unter die Apfelbäume. Das Buch war, wie ich feststellte, ein Kriminalroman.
Ich schüttelte den Kopf.
»Hast du noch nicht genug von Mord und Totschlag? Früher hast du so etwas nicht gelesen.«
»Nein«, gab sie etwas verlegen zu. »Ich wußte gar nicht, daß es so etwas gibt. Aber der neue Schreibwarenladen, den wir unten im Ort haben, der hat ganze Regale voll von diesen Dingern. Und die Sommergäste kaufen sie in großen Mengen. Es entspannt so schön.«
»So«, sagte ich und überlegte mir, wovon sie sich eigentlich entspannen mußte, geruhsam wie sie lebte.
»Meinst du wirklich, der
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