Der Mond ist nicht allein (H´Veredy Chroniken) (German Edition)
Gemeinschaft waren im Wandel. Hätte Bernd sich eingestanden, dass das vor allem ein Problem für seinen Stolz war, wäre vieles anders gekommen. Stattdessen sah er darin eine unbestimmte Bedrohung.
Bernd verstand nicht, was geschehen war. Zuerst war er der unangefochtene Anführer und das Zentrum der allgemeinen Aufmerksamkeit gewesen. Das hatte sich gut angefühlt und ihm geholfen Mut zu fassen, als es um das nackte Überleben ging. Dieser Kampf war schließlich noch keinesfalls gewonnen. Doch am Anfang hatte er noch Frederik gehabt, den er nicht einmal besonders leiden konnte. Aber Frederik festigte seine Führungsrolle, weil er sich mit der frechen Mira anlegte. Lisa hatte sich erst an Frederik orientiert, in den sie verschossen war. Der war ausgefallen, und sie suchte in Bernd offenbar einen großen Bruder. Jetzt redete sie plötzlich nur noch mit Verena und beachtete ihn gar nicht mehr. Die kann nicht im Ernst ausgerechnet Verena für eine Anführerin halten! Daraus werde ich nicht schlau. Frauen! Aber wenn es mal nur die wären ….
Auch Alex, der ihn zuvor in der Führungsrolle gesehen hatte und am vergangenen Tag stets seinen Rat und seine Erlaubnis eingeholt hatte, machte sich jetzt diese Mühe nicht mehr. Er zog los und erledigte die Dinge, die er für richtig hielt. Wenn er einen Vorschlag zu machen hatte, unterbreitete er ihn nicht mehr ihm, Bernd, sondern stellte ihn allgemein zur Debatte.
Seit Alex seine eigenen Wege ging, war es bei Mira vorbei mit jedem Rest einer ansatzweise respektvollen Haltung ihm gegenüber. Das äußerte sich nicht einmal hauptsächlich in frechen Worten. Auch sie traf einfach eigene Entscheidungen, erklärte nur kurz ihre Absicht und schritt sogleich zur Tat. So meinte sie irgendwann, gestern habe sie auf ihrem tiefer gelegenen Posten eine Judojacke im Gebüsch hängen sehen und die wolle sie jetzt bergen. Später kam sie damit im Schlepptau zurück und fragte Verena, wie sie das gestern mit den Schuhen gemacht hatte. Sie beschloss aber, dass diese Technik zu materialaufwendig wäre und schnitt stattdessen mit einem Stein kleinere Stücke Stoff, die nur halb um den Fuß herumreichten und oben mit schmaleren Stoffstreifen geschnürt werden konnten. Zwar hatten sie nachher alle einen Schutz für die Füße, aber niemand hatte Bernd nach seinem Okay für diese Vorgehensweise gefragt. Auch jetzt, als Alex die Frage aufwarf, ob man nicht zum Beispiel Schlangenleder benutzen könnte, um dauerhaftere Sohlen herzustellen, sah ihn niemand auch nur an.
Hier herrscht Disziplinlosigkeit. Wenn jeder macht, was er für richtig hält, stehen wir dumm da. Ich muss ihnen klar vor Augen führen, dass ich hier die Entscheidungen treffe. Sie brauchen eine straffe Führung, kein Larifari. Ich bin selbst schuld, wenn ich sie an der langen Leine lasse, versuchte er, sich eine Variante der Realität zurechtzulegen, die ihn wieder in den Mittelpunkt rücken würde.
Er dachte eine Weile über ihre Optionen nach und entwickelte rasch einen Plan. „Achtung, hört alle her! Heute haben wir für einen Tag genug Vorräte. Wir werden bis Morgen hier bleiben und unsere Verletzungen schonen. Damit wir die lange Nacht überleben, denke ich, dass wir an den Grenzen unseres Lagerplatzes kleine Wachfeuerchen errichten sollten. Dazu brauchen wir noch lange, stabile Spieße mit feuergehärteter Spitze zur Verteidigung. Wir schnitzen auch kleine Spieße, die wir am Stamm festmachen, damit da von außen keine Raubaffen und Riesenschnecken vorbei kommen. Jeder trägt was bei. Morgen brechen wir unter meiner Führung zu diesem Tafelberg auf. Wir müssen irgendwas Sichereres finden, und da ist das unsere beste Hoffnung. Wir gehen, so weit das mit Verenas kaputtem Bein möglich ist. Dafür wird Lisa ihr eine Krücke schnitzen. An die Arbeit!“
Alle waren überrumpelt von dieser unvermittelten Rede und hatten, obgleich ihnen diese Vorgehensweise spontan recht vernünftig erschien, das Bedürfnis noch darüber nachzudenken.
„Wäre es nicht auch gut, wenn …“, versuchte Mira, noch einen Vorschlag zu machen.
Bernd unterbrach sie, ohne zu zögern: „Es reicht mir jetzt mit deinen Frechheiten! Fred hatte recht. Du bist kindisch. Wir wollen alle überleben. Tu zur Abwechslung einfach einmal, was dir die Erwachsenen aufgetragen haben!“
Er merkte, dass Mira sich noch nicht geschlagen geben wollte und spielte seine Trumpfkarte aus: „Herr Schneider hat vor der Fahrt deine Eltern einbestellt, weil du dich nicht
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