Der Mond ist nicht allein (H´Veredy Chroniken) (German Edition)
regelrechte Gänge durch das Wurzelwerk und vermutlich sind Mira und Alex einem gefolgt. Wahrscheinlich konnten sie an dieser Stelle nicht wieder hochklettern. Ich hätte es selbst nicht hingekriegt, wenn ich mir nicht vorsorglich eine dicke Liane von oben herabgehängt hätte. Ihr habt sicher gehört, dass ich erfolglos nach ihnen gerufen habe.“
Verena hatte nichts dergleichen wahrgenommen, dazu war sie zu benebelt gewesen, Lisa hingegen nickte bestätigend. „Ich weiß nicht, was wir jetzt tun sollen“, eröffnete Alex den Mädchen.
Lisa hielt sich nur Schutz suchend an Verenas Arm fest. Verena gelangte zu dem Schluss, dass es jetzt an ihr wäre, etwas zu sagen. „Lisa sollte eine Weile liegenbleiben und sich danach sehr vorsichtig bewegen. Die Bauchwunde sah hässlich aus und reißt ohne Nähen bestimmt leicht auf. Ich kann in den nächsten Stunden überhaupt nichts unternehmen. Vielleicht stehe ich dann auf, vielleicht bleibe ich aber auch hier liegen. Ich meine für immer. Ich weiß nicht, ob ich noch einmal den Mut finde, weiter zu machen.“
Verena war ein wenig erleichtert, keinen Widerspruch zu hören. Alexander und Lisa mussten erkannt haben, dass das kein Gejammer, sondern eine nüchterne Einschätzung war. Verena hatte in den letzten Tagen schon so viel gelitten. Würde sie jetzt aufgeben, müssten sie das akzeptieren. Sie war dankbar, dass sie sie in diesem Moment der Schwäche nicht bedrängten. Lisa begann allerdings, an Verenas Schulter zu weinen. Verena blieb regungslos liegen. Es ist schön, dass jemand um mich weint, bevor ich sterbe. Nachher hilft es mir nichts mehr. Ich kann sie nicht trösten. Ich weiß wirklich nicht, ob ich mich noch einmal so weit erhole, dass ich länger ums Überleben kämpfen kann. Wir haben nicht einmal ein Ziel! Die Menschen hier scheinen mordgierige Neandertaler zu sein. Da ist nichts Gutes von zu erwarten. Vielleicht finden wir irgendeinen Ort, wo wir so lange bleiben können, bis wir uns auskuriert haben – oder eben sterben, aber …
„… ich denke, wir müssen ohnehin heute hierbleiben, für den Fall, dass Mira und Bernd einen Weg zu uns zurückfinden“, beendete Verena ihren Gedanken laut. „Morgen müsst zumindest ihr etwas weiter. Die Leute, die uns angegriffen haben, waren sicher nicht allein. Vielleicht weiß ihr Stamm, dass sie hier jagen wollten und kommt sie suchen. Alle, die überleben wollen, sollten dann nicht mehr da sein.“
Mira und Bernd blieben verschollen. Alex hatte sein Bestes getan, um im Alleingang für Nahrung, Trinkwasser und ein Minimum an Komfort zu sorgen. Er hatte erneut Wasser abgekocht und Wunden ausgewaschen. Für die Nacht hatte er reichlich Feuerholz beschafft. Außerdem war es ihm gelungen, die ledernen Schuhe und Handschuhe der Angreifer zu bergen. Diese waren zwar viel zu groß für sie, doch wenn man sie etwas festband, würden sie dennoch zusätzlichen Schutz bieten, sowie sie morgen aufbrächen. Verena fühlte sich zwar weiterhin elend, doch war sie sich zunehmend sicher, dass sie hier nicht zum Sterben liegen bleiben würde. Ich wünschte, ich könnte mir einreden, dass ich mich so entschieden habe, weil ich eine harte Kämpferin bin, für die Aufgeben nicht infrage kommt. Dass Lisa meine Fürsorge braucht, wäre auch ein guter Grund. Das ist mir in den vergangenen Stunden deutlich geworden, und ich will ihr ja tatsächlich so gut es geht zur Seite stehen. Aber als Motivation, mich weiter zu quälen, dafür reicht das nicht aus. Warum tue ich es dann?
Darüber musste Verena erst gründlich nachgrübeln. Es war schon spät in der Nacht, und die Welt schien ausnahmsweise einmal friedlich. Sehen konnte Verena trotz der Wachfeuer praktisch überhaupt nichts. Doch viele verschiedene Gerüche drangen weiterhin in ihre Nase. Feuchtes Moos, verrottendes Holz, die floralen Aromen von hunderten verschiedener Blüten allein aus der näheren Umgebung. Dazu kam der spezielle, auf dieser Welt allgegenwärtige minzige Geruch. Verenas Nase hatte sich so daran gewöhnt, dass sie ihn nur noch manchmal bewusst wahrnehmen konnte. Aber er war immer da. Da waren auch Geräusche, die meisten davon fremdartig und schwer einzuordnen. Viele gingen wohl auf Vögel zurück, auch wenn der Gesang in der Nacht etwas dezenter ausfiel. Dazu kam das Tropfen von Wasser und immer wieder Knarren und Knacken, wenn irgendetwas durch das Unterholz brach oder wenn einer der Bäume ein wenig nachgab. An das plötzliche Brummen riesiger Insekten
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