Der Mond ist nicht allein (H´Veredy Chroniken) (German Edition)
wichtiger ist: Vielleicht haben wir nicht alle Mitglieder des Jagdtrupps gesehen, und Bernd und Mira sind unten im Dickicht von weiteren Wilden gejagt und gefangen genommen worden. Zumindest Mira gegenüber fühle ich mich verpflichtet, nachzusehen. Einverstanden?“
Vorsichtig bewegten sie sich auf die Quelle des Rauchs zu. Verena war noch einmal an einem geeigneteren Aussichtspunkt in die höchsten Wipfel gestiegen. Von dort aus hatte sie im fraglichen Gebiet nicht nur Rauch ausmachen können, sondern auch herumkletternde Menschen. Es handelte sich also zweifellos um ein Dorf oder einen Lagerplatz, und tatsächlich waren sie wenige hundert Meter davon entfernt. „Wir müssen noch näher ran, um einen genauen Einblick zu bekommen“, erklärte sie Lisa flüsternd. „Ein Stück in dieser Richtung habe ich einen Wipfel gesehen, der weit über all das hier hinausragt. Vielleicht gelingt es uns ausnahmsweise Mal, die Richtung zu halten.“
Der von Verena angepeilte Wipfel erwies sich als viel besser geeignet, um das Dorf auszukundschaften, als sie zu hoffen gewagt hätte. Der Aufstieg war schwierig, und nur Verena gelang er ohne Hilfsmittel, wenngleich sie dabei wegen ihrer zahlreichen Blessuren besonders zu leiden hatte. Lisa musste unten an dem glatten Stamm warten bis Verena ihr eine Liane herabließ. Lisa hat ziemlich abgebaut. Die Bauchverletzung hat zwar noch etwas geblutet, sieht aber ansonsten gut aus. Also sind es die Würmer und der blutige Durchfall, die sie rasch auszehren.
Das eigentliche Dorf war an und zwischen neun hohen Baumwipfeln errichtet worden. Um die oberen Baumstämme herum waren rohe, fensterlose Holzhütten konstruiert worden, in denen dieses primitive Völkchen lebte. Zwischen den Hütten waren Laufnetze aus Pflanzenfasern gespannt, darüber gab es ein weiteres Netz, vermutlich, um Bedrohungen aus der Luft vom Dorf fernzuhalten. Der Wipfel, den Verena ausgewählt hatte, war so hoch und dicht, dass einerseits nichts in dem Dorf vor ihr und Lisa verborgen blieb und sie andererseits, zumindest solange sie nur flüsterten und kein Feuer machten, vor Entdeckung vom Dorf aus sicher waren. Dazu kam noch der Luxus, dass gerade hier oben eine enorme Menge der nahrhaften Bananenfrüchte wuchs, die Lisa durch Versuche als essbar klassifiziert hatte. Indessen sahen die Bewohner leider der Jagdgesellschaft, mit der sie gekämpft hatten, erschreckend ähnlich, und von Bernd und Mira fehlte jede Spur.
Sie blieben dennoch den ganzen Tag und die folgende Nacht in dem Baumwipfel. Lisa war trotz ihres geschwächten Zustandes in diesen Stunden eine wirklich liebenswerte Gefährtin für Verena. Tagsüber wirkte sie sehr erwachsen und erzählte flüsternd kleine Geschichten aus ihrem Leben, um Verena bei Laune zu halten. Verena erfuhr, dass Lisa, obgleich sie noch nicht allein fliegen durfte, begeisterte Segelfliegerin war, und wenn das Mädchen davon erzählte, konnte sie sich mühelos so weit in die Geschichte hineinversetzen, dass sie es regelrecht miterlebte als wäre sie dabei. Oft ging es aber auch darum, wie sie mit ihrer gleichaltrigen Freundin Anna, die sie anscheinend sehr vermisste, wieder einmal in irgendwelche Schwierigkeiten mit Erwachsenen geraten war. In der Nacht wurde Lisa dann plötzlich erheblich jünger. Verena musste sie im Schlaf wie eine verängstigte Tochter im Arm halten.
Am nächsten Morgen fasste Verena zögernd ihre Gedanken zusammen: „Das sind die Wilden. Ich glaube sogar, dass ich weiß, in welchen der Hütten die Teilnehmer der Jagdgesellschaft fehlen, die wir besiegt haben. Mira und Bernd sind nicht hier. Wir hätten irgendwas bemerkt, selbst wenn sie in einer der Hütten eingesperrt wären. Wir müssen weg von dem Dorf, irgendwann kommt jemand vorbei und findet uns. Die Bananen gehen uns auch aus. Nebenbei bemerkt: Das Gewitter gestern Nachmittag wäre unser Tod gewesen, wäre es direkt über uns weggewandert. Wir sitzen schließlich auf dem höchsten Punkt weit und breit!“
Das war vor drei Tagen gewesen. Seitdem waren sie extrem langsam aber stetig unterwegs, um sich einen dauerhafteren Lagerplatz zu suchen. Gefunden hatten sie jedoch nur Dschungel, Dschungel und noch mehr bodenlosen Dschungel. Nun musste Verena einsehen, dass sie unmöglich weitermachen konnten. Ihr eigener Zustand war bedenklich genug. Ihr Körper war voller entzündeter, offener Wunden, die unter diesen Bedingungen nicht heilen wollten. Selbst die zahllosen kleinen Schürfwunden und
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