Der Mond ist nicht allein (H´Veredy Chroniken) (German Edition)
oder seiner Vergangenheit zu beschäftigen und dieses Thema bisher noch nicht wieder aufgenommen. Von der Zukunft schien Verena sich schon lange nichts anderes mehr zu erhoffen, als für alle Tage mit ihm durch die Wälder zu ziehen. Doch auch darüber sprachen sie nie.
Sie hatten längst gemeinsam eine vernünftige, persönliche Kleidung und Ausrüstung für Verena hergestellt und auch Barwarins eigenen Dinge (abgesehen von dem Blechtopf, seinen Messern, dem Beil und der Machete) hatten nicht ewig gehalten und waren vollständig ersetzt worden. Verena war mit ihrem Leben rundum zufrieden, das konnte Barwarin deutlich sehen. Er wusste ganz klar, wer sie heute war. Irgendwie machte dieser Jahrestag ihm bewusst, dass er auch endlich wissen wollte, wer sie gewesen war, bevor sie sich begegneten und dass sich einige Dinge ändern mussten.
„Verena, bitte wach auf, ich möchte mit dir reden“, sagte er und schüttelte sie sanft an der Schulter.
Sie erwachte mit einem Lächeln, rieb sich die Augen, setzte sich auf und küsste ihn schweigend. Dann sah sie ihn abwartend an. Natürlich konnte sie mittlerweile fließend Cion sprechen, doch oft genug hielt sie es nicht für nötig, überhaupt etwas zu sagen. Daher fuhr Barwarin fort, zu sprechen. „Wir sind jetzt genau ein Jahr beisammen. Seitdem habe ich dich so geführt, dass wir keinem anderen Menschen begegnet sind. Ich möchte, dass du verstehst, wieso. Deshalb will ich dir erzählen, wie es für mich war, als wir uns kennengelernt haben. Und ich möchte von deiner Vergangenheit erfahren. In unseren ersten gemeinsamen Tagen habe ich nicht verstanden, was du mir sagen wolltest und ich habe danach nie weiter nachgefragt, weil diese Gespräche unangenehm für uns beide waren.“
„Ich sehe, dass dir da Großes auf dem Herzen liegt, Barwarin“, antwortete Verena ruhig. „Ich habe mich im letzten Jahr glücklich geschätzt, unser Leben teilen zu können. Es wäre wunderbar für mich, wenn wir das auf unsere Vergangenheit ausdehnen könnten. Beginne du.“
Das Leben in den Wäldern kannte, von Gefahrensituationen abgesehen, keine Hektik, und daran hatte sich Verena inzwischen vollends gewöhnt. Wir Zivilisationsmenschen können es uns kaum vorstellen, doch Barwarins Antwort dauerte, mit der ein oder anderen Unterbrechung, einen vollen Tag. Er erzählte Verena seine Lebensgeschichte und legte besonderes Augenmerk auf die Zeit, in der er Verena gefunden hatte. Verena lernte, zu verstehen, dass er sie damals für eine verwöhnte Angehörige der besonders degenerierten Oberschicht einer Stadt gehalten hatte und wie es zu diesem Missverständnis gekommen war. Sie lernte diese Gründe nachzuvollziehen, die Xirien von Lianta Zintall und anderer, ähnlich verkommener Orte, ebenso zu verabscheuen, wie er es tat, - auch wenn ihre Gefühle in dieser Sache nicht so fest verankert waren, wie die seinen.
Ein Gespräch wie dieses konnte man nur unter echten Waldläufern in ihrer natürlichen Heimat führen. Jeder Andere hätte versucht, das Gespräch zu beschleunigen. Gewiss hätte Verena sogleich auf die Erläuterungen eingehen können und ihre eigene Sicht der Dinge beitragen, wie Sie oder ich es vermutlich täten. Stattdessen fragte sie lediglich nach, wenn sie etwas nicht verstand oder mehr Details erfahren wollte. Sie sparte sich ihre eigene Geschichte auf, bis Barwarin die Seine beendet hatte.
Dann war Verena an der Reihe, und bevor sie endete, lagen drei weitere Tage hinter ihnen. Verena erzählte Barwarin nicht nur ihre Geschichte, wie wir sie schon kennen. Sie versuchte auch ausgiebig, ihm die Welt aus der sie stammte, mit all ihren elektronischen Wunderwerken zu schildern. Sie erzählte, wie sie sich über ihr erstes Fahrrad gefreut hatte und wie schwer es ihr gefallen war, in den Familienurlauben auf ihre diversen Kampfsportvereine zu verzichten. Verena erzählte ihre Lebensgeschichte. Sie ließ dabei nicht einmal aus, wie sie bei einem ansonsten stinklangweiligen Urlaub in England ihren ersten Freund kennengelernt hatte, an den sie erst kurz vor ihrer Abreise, ohne es je zu bereuen, ihre Jungfräulichkeit verloren hatte. Auch aus ihrer frühen Kindheit erzählte sie, woran sie sich gerade entsinnen konnte. Damals waren ihre Großeltern noch am Leben. Verena bedauerte zutiefst, dass sie sich an diese damals für sie wichtigen Menschen und die Zeit die ihr heute als Periode von ununterbrochenem Kindheitsglück erschien, nur so vage entsinnen konnte.
Erst nachdem
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