Der Mond ist nicht allein (H´Veredy Chroniken) (German Edition)
diese Flut von Informationen ausgetauscht war, sprach Barwarin an, was ihn noch beschäftigte. „Siehe Verena, nun kenne ich deine Vergangenheit und du die meine und es ist gut so. Ohne die Vergangenheit gibt es keine Zukunft. Und ohne Zukunft ist die Gegenwart nicht, was sie sein könnte. Du hast von mir schon jetzt mehr vom Handwerk eines Waldläufers gelernt, als die Meisten, die sich als Waldläufer bezeichnen, jemals begreifen werden. Wenn du auch deine Zukunft mit mir teilen willst, werde ich dich irgendwann alles gelehrt haben, was ich weiß. Doch Waldläufer zu sein, bedeutet nicht, ununterbrochen ein Leben im Wald zu führen. Wie du aus den Erläuterungen meiner Vergangenheit erfahren hast, sind auch wahre Waldläufer in ihren Gilden organisiert. Wir gehen durchaus immer wieder in die Städte, um Handel zu treiben, und wir übernehmen bezahlte Aufgaben, wie die Begleitung von Handelszügen. Für unser tägliches Leben, die Gegenwart, benötigen wir nicht viel aus den Städten und Dörfern. Ein paar hervorragend gearbeitete, metallene Werkzeuge beziehen wir dennoch von dort. Wenn uns der Sinn danach steht, kaufen wir von den städtischen Handwerkern all die Dinge, die wir uns hier sonst selbst herstellen, in einer Qualität, die eben nur echte Meister ihres Faches erschaffen können. Damit wird unser eigentliches Leben für eine Weile etwas angenehmer. Auch die Gesellschaft anderer Menschen, wenngleich manche unserer Zunft sie nicht lange ertragen können, ist uns wertvoll. Doch eigentlich, hauptsächlich, suchen wir in den Städten etwas anderes. Die Waldläufergilden wirtschaften mit all dem, was wir aus den Wäldern mitbringen, und jeder Waldläufer, der etwas taugt, kann dadurch am Ende seines Lebens so reich sein, dass er seinen Lebensabend im puren Luxus verbringen kann, - auch wenn nur einer von vierundsechzig [46] Waldläufern lange genug lebt, das zu beanspruchen. Unsere wichtigste Ware überhaupt ist das Wissen. Du weißt, dass ich selbst ein Waldläuferjournal führe, in das ich alles aufnehme, was ich gelernt habe oder wo ich eben Wissenslücken habe. Wenn ich in eine Stadt komme, kopiert die Gilde meine Aufzeichnungen, und aus dem gesammelten Wissen aller Waldläufer werden gelehrte Bücher verfasst. Aus diesen Quellen können wir viele neue Dinge lernen. Vor meiner Reise zum Pol, von der ich dir erzählte, habe ich mich damals sehr genau aus diesen zum Teil jahrhundertealten Quellen informiert. So konnte ich am Ziel nicht nur überleben, sondern von dort Reichtümer mitbringen, die eine kleine Tasche ausfüllten, aber einen Stadtbürger ein halbes Leben lang reichlich mit allem versorgen könnten, was er benötigt. Auch das Wissen der Stadtbewohner ist in großen Bibliotheken auf der ganzen Welt niedergelegt. Davon ist für einen Waldläufer so einiges wertvoll. Ich möchte dir die Möglichkeit geben, auch diese Aspekte des Waldläuferlebens mit mir zusammen zu erleben. Kannst du dir das vorstellen?“
Verena legte einen Arm um Barwarins Schulter. „Barwarin. Natürlich wusste ich immer, dass du die Sprache und die Schrift, die du mich gelehrt hast, nicht nur für Selbstgespräche benötigen kannst. Es hat mich, solange wir glücklich zusammen sind, nie danach verlangt, dich mit anderen Menschen zu teilen. Aber ja, ich möchte gerne auch mit dir in die Städte gehen und sehen, wie es dort ist. Ich möchte gerne auch diese Seite einer wunderbaren Welt kennenlernen, in die ich hineingestürzt bin. Und ich werde danach wieder mit dir in die Wälder zurückkehren. Lass mich dir Folgendes versichern: Wenn sich vor mir eine Zaubertür öffnete, die mich in die Welt zurückkehren ließe, aus der ich komme, ich würde herzzerreißend weinen und um alles trauern, an das ich mich aus dieser Welt erinnere. Dann würde ich diese Tür zuschlagen und hierher zurückkehren. Dies ist das Leben, das einzige Leben, das ich führen möchte. Dafür bin ich gemacht.“
Und dafür bin ich dankbar. Dafür bin ich stolz auf dich. Dafür liebe ich dich.
*
Barwarin hatte die Richtung zur nächsten Stadt vorgegeben, von der er wusste, und Verena durfte führen. So hielten sie es nun seit dem Aufbruch aus ihrem Unterschlupf in den Lichthöhlen. Nur so konnte Verena wirklich verinnerlichen, was sie für ein Leben als Waldläuferin wissen musste. Ich mache noch fast alles verkehrt. Ich bin auf keiner ´Ebene´ in der Lage, über längere Zeit die Richtung zu halten. Ich finde genügend Nahrung und Wasser. Aber ich
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