Der Mond ist nicht allein (H´Veredy Chroniken) (German Edition)
Wald überall gleich aus.“
„Oh, das ist einfach, nicht nur weil der Dschungel für diejenigen, die sich damit auskennen alles andere als einseitig ist. Sieh genau hin. In jeden dickeren Baum sind Zahlen und Lettern eingeschlagen – übrigens auch in den Parks in der Stadt. Auf dem Gelände, das zu deinem Grundstück gehört, musst du sie regelmäßig erneuern. Diese Zeichen bilden ein Koordinatennetz, mit dem man jedwede Position in der Stadt bestimmen kann. Darüber werden auch die Nutzungsrechte zugeteilt. Im zweiten Außenring werden die Zeichen signifikant seltener. Außerhalb sind für einen Radius von drei bis fünf Tagesreisen sporadisch weitere Stadtmarkierungen angebracht. Zu jeder Zeit sind dort einzelne Sektoren für bestimmte Nutzungen, wie Brennholz schlagen, Früchte sammeln und so weiter für alle Einwohner der Stadt freigegeben. Wo die Markierungen ausbleiben, erhebt die Stadt keine Ansprüche mehr.“
Konstantin hatte sich nie im Leben einen derart stark wuchernden Dschungel vorgestellt. Der Weg, den sie nahmen, führte anfangs in schwindelnde Höhen hinauf, und da die Temperaturen sich mit dem Verlassen der inneren Stadt noch gesteigert hatten, war es harte Arbeit, hier voranzukommen, als wollte man in brütender Sommerhitze immer wieder einen hohen Turm besteigen.
Der Leser oder die Leserin konnte sich in den Kapiteln mit Verena bereits ein allgemeines Bild über diese Bereiche des Waldes machen und würde sich gewiss nicht an einer Wiederholung all dessen erfreuen. Jedoch fielen ihr oder ihm einige Unterschiede auf, die Konstantin nicht bemerken konnte, weil er den natürlichen Wald nicht kannte. In den Dschungeln der Stadt waren bestimmte Nutzpflanzen angereichert worden. Viele aggressive Tiere, die Menschen allzu stark zusetzen konnten, wurden durch intensive Bejagung reduziert. Der Dschungel hier bot noch mehr Heilkräuter, hübsche Blütenpflanzen, nahrhafte Beeren, Nüsse und vor allem große, gut zu erntende Früchte, als die Natur es von sich aus eingerichtet hatte. Dafür war der Artenreichtum eingeschränkt, da solche Pflanzen, die sich nicht gezielt ansiedeln ließen, verdrängt wurden. Brennbare Hölzer waren an einigen Stellen durch intensive Nutzung dezimiert, an anderen Orten wurden sie gezielt, wenn auch niemals als Monokulturen angebaut. Der Stadtwald war also viel kultivierter, märchenhafter, aber auch weniger vielseitig als echter Dschungel.
Konstantin und Cenimnir durchquerten diesen bewohnten Wunderwald in viel zu großer Eile. Der Weg war lang und sie wollten, wenn irgend möglich, vor dem Nachmittagsgewitter das Heim der Druckerin Senigara erreichen.
„Es tut mir leid, dass wir uns so eilen müssen. Wir haben uns den Hafen zu lange angesehen. Daher ist es später, als ich beabsichtigt hatte. Ich hätte dich gerne auf den erquicklichsten und typischsten Wegen durch dieses Viertel geführt. Nun müssen wir aber den schnellsten nehmen. Es gibt eine recht breite, nahezu durchgehende Verbindung durch die Untere Lichtwelt“, erklärte Cenimnir nach einiger Kletterei.
Konstantin hatte keine Ahnung, was diese ´Untere Lichtwelt´ sein könnte, war aber auch bereits zu verschwitzt und erschöpft, um sich alles weiterhin sofort erklären zu lassen. Seine Haupterkenntnis, seit sie die Stadtmauern durchschritten hatten, war, dass er um jeden Preis an seinem Anwesen in der Altstadt festhalten wollte. Für ein Leben in diesem Dschungel, bei so zermürbender, brütender Hitze war er nicht geeignet.
Cenimnir schlug einen Weg ein, der sie durch eine viele Meter dicke Schicht aus Wurzelwerk hindurch Richtung Erdboden führte. Da wurde Konstantin wieder neugieriger. „Komm Constantin, hier gibt es doch nichts Interessantes zu bestaunen!“, mahnte Cenimnir zur Eile, da Konstantin an einem Leuchtstein stehengeblieben war, den man zur Beleuchtung des Wurzeltunnels aufgestellt hatte.
Wenig später kamen sie tatsächlich auf felsigem Grund an. Hier wurde Konstantin endlich klar, was Cenimnir mit ´Untere Lichtwelt´ gemeint hatte. Es schien Konstantin ein großes Wunder zu sein. Der ganze Felsboden leuchtete und strahlte aus sich selbst heraus wie der helle Sonnenschein, und in diesem Licht wuchsen von oben dichte Blätter herab. Sie waren in einem Wald unter dem Wald. Dort, wo sie standen, hatte man einen breiten und recht hohen Tunnel geschlagen, durch den viele Menschen eilten. Nur einige dicke Stämme, die vermutlich für die Statik entscheidend waren, hatte man in
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