Der Mond ist nicht genug: Roman (German Edition)
den krummen Fingern alle Knöpfe zu erreichen.
»Mist«, sagte sie, als sie ihren verpixelten Helden von einer Klippe springen ließ.
Swoozie war mies in Videospielen. Was nicht besonders überraschte, denn sie war kaum mit diesem Universum verbunden. Sie war wie ein Puppenspieler, der versuchte, eine Marionette über einen sehr langen Faden und ein Teleskop zu steuern. Und im Augenblick glich sie einer Frau, die versuchte, diese Marionette zu benutzen, um eine zweite Puppe zu steuern, die aus ein paar Elektronen bestand, die über einen Fernsehbildschirm tanzten. Manchmal beneidete Calvin Swoozie, die von der Falle, in der sie feststeckten, beinahe frei zu sein schien. Und manchmal stellte sich Calvin vor, dass es für Swoozie noch schlimmer sein musste als für sie alle. Als müsste man auf ewig mit einem Eimer auf dem Kopf herumlaufen.
»Drück den A-Knopf, wenn du springen willst«, sagte Calvin.
Swoozies digitaler Protagonist sprang über die Schlucht. Sie jubelte, und von diesem Geräusch löste sich die Tapete von der Wand.
»Hey, pass doch auf!«, sagte Benny.
»Tut mir leid.«
Ein virtueller Wasserspeier schwebte herab und köpfte Swoozies Helden. Der Leichnam sank in sich zusammen.
»Was soll der Scheiß?«, knurrte Swoozie. »Steh auf, du blöder Mistkerl!«
»Menschen können nicht ohne Köpfe leben«, erklärte Calvin. Man vergaß das leicht.
»Das ist doch Mist! Ich verstehe nicht, wieso ich so eine blöde Schwäche haben muss, nur weil Menschen nicht die Phantasie haben zu erkennen, dass eine Videospielfigur nicht denselben Einschränkungen unterliegen muss wie sie!«
»Diese Spiele werden mit einer menschlichen Käuferschaft im Hinterkopf vermarktet«, sagte Benny.
»Das ist Diskriminierung.« Swoozie griff um den Weltraum herum und nahm sich – ohne aufzustehen – eines der Biere aus dem Kühlschrank. Das Loch im Weltraum, aus dem sie das Getränk gezogen hatte, verschwand nicht sofort wieder. Es schwebte einfach in der Luft.
»Hey, hey, hey«, sagte Benny. »Was habe ich dir über das Respektieren des Raum-Zeit-Kontinuums in meiner Wohnung gesagt?«
»Ach, kehr es doch einfach unter den Teppich oder so«, antwortete Swoozie.
Calvin griff in das Loch und holte sich selbst ein Bier heraus. Benny funkelte ihn an.
»Was denn?« Calvin lächelte. »Es ist doch da! Wieso es dann also nicht auch benutzen?«
Die Zähne in Bennys rundem Mund drehten sich gegen den Uhrzeigersinn. Das war seine Version eines finsteren Blicks.
»Und, was machen wir heute Abend?«, fragte Swoozie.
»Weiß ich nicht«, sagte Benny. »Wir könnten etwas essen gehen, vielleicht ins Kino.«
»O nein!« Calvin wedelte nachdrücklich mit den Armen. »Nicht nach dem letzten Mal.«
Einzeln war Calvins, Swoozies und Bennys Gegenwart ein zersetzender Tumor in der dünnhäutigen Realität. Wenn sie jedoch gemeinsam unterwegs waren, wurde die Wirkung noch verstärkt. Deshalb trafen sie sich nur alle paar Wochen, lediglich für ein paar Stunden und selten am selben Ort. Sonst konnte es sein, dass die Vorhersehbarkeit einfach den Bach runterging. Oder zur Tür hinaus. Oder in Rauch auf. Oder dass sie schreiend auf einem Huhn in die Nacht hinausritt und die geschundene Leiche der Kausalität hinter sich herschleppte. Denn selbst Metaphern waren Freiwild für ihren Einfluss.
Das letzte Mal, als die drei zusammen im Kino gewesen waren, war eine Rieseneidechse von der Leinwand gestiegen und hatte das Publikum mit seinem radioaktiven Atem zu Asche verkohlt. Innerhalb von Stunden war die Stadt in eine schwelende Ruine verwandelt gewesen. Dass die Realität sich selbst reparieren konnte, hatte am Ende den größten Teil des Schadens ausradiert, aber so etwas konnte eine unnötige Belastung der ohnehin zerbrechlichen Gesundheit der meisten menschlichen Gehirne bedeuten. Ein Mädchen vom Getränkestand war immer noch in psychiatrischer Behandlung, heimgesucht von Albträumen, die von tobenden Dinosauriermutanten handelten.
Calvin hatte ihm ein paar Entschuldigungskarten geschickt. Unsigniert, ohne Absenderadresse, mit einem inspirierenden Zitat und TUT MIR LEID WEGEN DER TRÄUME in eine Ecke geschrieben. Irgendwann war ihm klar geworden, dass dem Mädchen das vermutlich nicht half, also hatte er damit aufgehört.
»Wir gehen irgendwas Ungefährliches gucken«, schlug Benny vor. »Vielleicht einen Mädchenfilm.«
»Nein, das tun wir nicht.« Swoozie formte sich ein Gesicht. Die Augen waren nicht auf derselben Höhe, hatten
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