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Der Mond ist nicht genug: Roman (German Edition)

Der Mond ist nicht genug: Roman (German Edition)

Titel: Der Mond ist nicht genug: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A. Lee Martinez
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einen Versuch war es wert.
    »Wie werden sie euch sehen?«, fragte sie. »Wie seht ihr als normale Menschen aus?«
    Sie zuckten die Achseln.
    »Ihr tragt keine Kleider«, sagte sie. »Selbst wenn ihr wie menschliche Wesen erscheint, wärt ihr dann nicht nackt? Ich meine, warum nehmen sie euch überhaupt als männlich oder weiblich wahr? Ihr seid doch eigentlich keins von beidem, oder?«
    Sie zuckten wieder die Achseln.
    »Manchmal wünschte ich, ihr zwei wärt etwas hilfreicher.«
    »Wenn du willst, dass alles einen Sinn ergibt«, sagte Vorm, »wirst du nur pausenlos enttäuscht.«
    Sie betraten die Bar, und sie entdeckte ihre Kollegen an mehreren Tischen nebeneinander. Sie winkten sie herüber.
    »Ich freue mich so, dass du es doch noch geschafft hast«, sagte Ginger. »Und das müssen deine Freunde sein.«
    »Ja, das ist …« Erst jetzt fiel ihr ein, dass sie vergessen hatte, sich normale Menschennamen für ihre Monster auszudenken. In den paar Sekunden, die sie brauchte, um sich John und James auszudenken, traten sie schon vor und stellten sich selbst vor.
    »Ich bin Vorm.«
    »Smorgaz.«
    Ginger sagte: »Das sind interessante Namen!«
    »Albanisch«, sagte Smorgaz.
    »Ich dachte mir gleich, ihr seht albanisch aus.«
    Diana verstand. Vorm und Smorgaz waren Blanko-Vorlagen, die gesehen wurden, wie auch immer der Sehende sie sehen wollte oder erwartete, sie zu sehen. Solange es eine denkbare Alternative dafür war, was sie tatsächlich waren.
    »Ich bin schwul«, sagte Vorm.
    »Ich auch«, fügte Smorgaz hinzu. »Extravagant.«
    Ginger nickte lächelnd. »Verstehe.«
    Diana setzte sich. Vorm und Smorgaz nahmen zu ihrer Linken Platz.
    Das würde nicht funktionieren. Sie konnte sich nicht entspannen, wenn die Monster hier waren. Es war nicht ihre Schuld. Sie benahmen sich. Aber sie konnte das Bild von Vorm nicht abschütteln, wie er in einem Augenblick der Schwäche auf alle losging und sie innerhalb von Sekunden verschlang. Oder wie jemand in einem Moment von außergewöhnlicher Klarheit womöglich einen Klon von Smorgaz’ Rücken rollen sah. Das war keineswegs unwahrscheinlich. Die Leute waren nicht einheitlich ahnungslos. Das sah sie.
    Wendall beobachtete sie aus der Ferne. Als sie sich setzte, zog er ans andere Ende des Tisches um. Und er warf ständig nervöse Blicke auf Vorm und Smorgaz. Er konnte sie vielleicht nicht als das sehen, was sie waren, aber er spürte ohne Zweifel, dass etwas mit ihnen nicht stimmte.
    Für den armen Kerl hätte sie das Ganze am liebsten irgendwie geradegebogen. Er hatte etwas gesehen, was sterbliche Gemüter normalerweise nicht sehen sollten, und es war offensichtlich, dass er Probleme hatte, sich damit abzufinden. Sie konnte es ihm nicht verdenken. Sie verschwendete ein paar Minuten mit dem Versuch, sich eine einfache Art auszudenken, wie seinem verwirrten Geist Erleichterung zu verschaffen war. Doch außer dass er nicht verrückt, das Universum aber tatsächlich voller furchterregender kosmischer Schreckensgestalten war, fiel ihr nichts ein. Und diese Nachricht kam ihr nicht besonders beruhigend vor.
    Schon der kurze Zusammenstoß mit diesem schrecklichen Geheimnis hatte seine geistige Gesundheit durcheinandergebracht. Die Gewissheit konnte sie auch vollends zerstören.
    Sie selbst saß jedoch hier, steckte bis zum Hals in diesem Wahnsinn und schlug sich nicht einmal annähernd so schlecht wie er. Aber vielleicht war es auch einfacher, wenn man schon ganz drinsteckte. Vielleicht konnte sie sich durch ihr komplettes Eintauchen besser daran gewöhnen. Statt nur Teile eines halb erinnerten Chaos zu erhaschen, sah sie das große Ganze. Und dadurch mochte es leichter zu akzeptieren sein, jedenfalls ließ sie sich nicht unterkriegen.
    Wahrscheinlicher schien ihr, dass sie schon angefangen hatte, verrückt zu werden – und es nur nicht merkte. Das tröstete sie irgendwie. Die Talsohle erreicht zu haben hieß: Das Schlimmste war vorbei.
    Aber Diana glaubte es nicht. Keinen Moment lang. Nicht einmal genug, um sich selbst zu täuschen.
    Ihre Kollegen machten Smalltalk. Sie machten Witze. Vicki zeigte Fotos von ihrem Kind. Ginger erzählte von etwas Lustigem, das ihr im morgendlichen Berufsverkehr passiert war. Der Typ aus der Schuhabteilung (Steve oder Bob oder Fred, sie konnte sich seinen Namen nicht merken) empfahl einen Film, den er gesehen hatte. Es war ein lebhaftes, vollkommen harmloses Gespräch.
    Und es langweilte Diana zu Tode.
    Wenn Langeweile vielleicht auch das falsche Wort

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