Der Mond ist nicht genug: Roman (German Edition)
erlaubte, in Gefilde zu schlüpfen, mit denen sie nie hätten in Kontakt kommen sollen. Aber es war nicht nur ein Sturm. Es waren drei. Drei wirbelnde Strudel der Anarchie, die mit jedem Tag näher kamen. Der Sturm spitzte sich zu, und ein Universum, das täglich darum rang, sich selbst gegen die dreschenden Tentakel eines unaussprechlichen Grauens zu behaupten, musste sich auf etwas Großes gefasst machen. Sie hatte keine Ahnung, was auf der anderen Seite wartete. Oder ob es überhaupt eine andere Seite gab. Gut möglich, dass es keine Zukunft gab und der Sturm sogar die Vergangenheit auslöschen würde – eine Flut der Vernichtung, die über die Ebenen der Zeit hinwegspülte und alles in immerwährender Stille verschluckte.
Ihre Sicht wurde klarer. Oder verdunkelt, je nachdem, wie man es sehen wollte. Aber so oder so: Ihre Wahrnehmung ihres Universums schrumpfte wieder auf einen menschlicheren Umfang zusammen.
»Danke«, sagte Calvin.
Diana öffnete die Augen. Was ihr wie zwanzig Sekunden Horror vorgekommen war, war weniger als ein Augenblick gewesen. Niemand schien es bemerkt zu haben. Nicht einmal Calvin.
»Du siehst ein bisschen blass aus«, sagte Sharon. »Ist alles in Ordnung?«
»Mir geht’s gut.« Diana setzte sich. Ihr Kopf wurde wieder klarer, und die Erinnerungen an das Gesehene verblassten schon. In ein paar Minuten würde sie sich wahrscheinlich an nichts mehr erinnern.
»Du bist dran«, sagte Vorm.
Sie gab ihm die Erlaubnis, für sie zu spielen, und niemandem machte es etwas aus. Diana setzte sich neben Zap und wartete, dass ihr Kopf vollends klar wurde. Sie überzeugte sich beinahe davon, dass alles eine Illusion war. Das Verderben, das über ihrem Teil des Universums lauerte, war lediglich auf eine Fehlzündung ihres unterentwickelten menschlichen Gehirns zurückzuführen, das versuchte, die Realitäten zusammenzubringen, über die sie nie hätte nachdenken sollen. Ganz zu schweigen davon, sie tatsächlich zu sehen.
»Es ist der Weltuntergang«, sagte Zap.
Sie warf einen Blick in sein Riesenauge. Er hatte es auch gesehen.
»Scheiße.«
Sie wollte es nicht wissen, aber sie wollte so manches nicht wissen, was sie jetzt wusste. Also beschloss sie, die Vision zu ignorieren. Es war einfacher, als sie sich vorgestellt hatte. Sie sah keinen Weltenzerstörer in Calvin – der war ein umgänglicher Kerl. Oder zumindest eine Simulation, die realistisch genug war, dass sie den Unterschied nicht bemerkte, solange sie ihn nicht berührte. Eine zweite Berührung hätte ihr vielleicht eine weitere Offenbarung geschenkt, aber daran hatte sie kein Interesse. Sie konnte nicht unbegrenzt in die Geheimnisse des Universums blicken, ohne den Verstand zu verlieren.
Nach dem Spiel schlug Sharon vor, etwas essen zu gehen.
Dianas erster Impuls war, den Abend zu beenden, aber die beste Ausrede, die ihr einfiel, war ein ausgedachter Arzttermin früh am nächsten Morgen. Doch es war kaum acht Uhr, und sie musste jetzt nicht mehr zu Ärzten gehen.
Sie sah sowieso keinen Sinn darin. Was auch immer Calvin sein mochte: Die Zukunft, die Vergangenheit oder die Gegenwart würden nicht davon beeinflusst werden, ob sie mit ihm essen ging oder nicht. Und Vorm hatte immer Lust auf eine Kleinigkeit.
Sie suchten ein Restaurant mit Buffet aus, was Vorm sogar noch besser gefiel.
»Aber mehr als zehn Mal gehst du nicht zum Buffet!«, ermahnte ihn Diana.
»Warum denn nicht? Es heißt doch All you can eat! «
»Ja, aber ich glaube nicht, dass sie dabei jemanden wie dich im Hinterkopf hatten.«
Er machte ein finsteres Gesicht. »Ist das etwa meine Schuld?«
»Sieh es mal so: Wenn du alle Buffets in den Ruin treibst, wo willst du dann hingehen, um dich vollzufressen?«
Er musste zugeben, dass sie damit nicht unrecht hatte.
Alle holten sich ihr Essen. Ohne es vorher geplant zu haben, kam Diana gleichzeitig mit Zap zum Tisch zurück. Sie starrten Calvin an. Es kam ihr vor, als drehe sich das Universum um ihn. Und das nicht nur im übertragenen Sinn.
Diana verschlang einen Hähnchenflügel mitsamt Knochen und allem. Das Bedürfnis nach Wissen überwältigte sie. Das war Zaps Passion. Nicht nur zu bezeugen und zu beobachten, sondern auch zu wissen.
Er löschte ein Stück Pizza und ein paar Pommes Frites aus. »Glaubst du, Sharon weiß, was er ist?«
Diana hatte keine Antwort darauf, aber es gab eine einfache Möglichkeit, das herauszufinden. Sie fing Sharon in der Schlange am Buffet ab. Diana wollte die Frage zwar nicht
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