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Der Mond ist nicht genug: Roman (German Edition)

Der Mond ist nicht genug: Roman (German Edition)

Titel: Der Mond ist nicht genug: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A. Lee Martinez
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setzte sich, schaufelte die Portion mit zwei Bissen in sich hinein und stand dann auf, um sich Nachschlag zu holen. Sie entschied sich dagegen, ihm zu sagen, er solle sich bremsen. Sie konnte nicht zu viel erwarten.
    Und gestand ihm sogar noch einen elften Teller zu.

FÜNFUNDZWANZIG

    Sharon fuhr auf Autopilot. Sie schenkte dem Straßenverkehr gerade genug Aufmerksamkeit, um einen Unfall zu vermeiden, obwohl es mehrmals beinahe dazu gekommen wäre. Sie stieg in die Bremsen und verhinderte knapp die Kollision mit dem Taxi vor ihr.
    »Komm schon, du Arsch!« Sie hupte zweimal.
    »Stimmt was nicht?«, fragte Calvin.
    »Ja.« Sie ließ die Hupe gute drei Sekunden plärren. »Die Leute in dieser Stadt können nicht Auto fahren. Das ist das Problem.«
    »Mhm. Dir ist aber schon klar, dass die Ampel rot ist, oder?«
    Sharon fluchte. Sie drückte das Lenkrad so fest, dass ihre Knöchel weiß hervortraten. Abwechselnd starrte sie das Taxi und die Ampel wütend an, weil sie ihr im Weg waren, obwohl sie, wenn sie darüber nachdachte, gar keine Eile hatte.
    »Bist du sicher, dass alles in Ordnung ist?«, fragte er.
    »Alles in Ordnung«, sagte sie. »Warum soll etwas nicht stimmen?«
    »Okay.«
    »Alles ist perfekt.« Ihre Stimme war ausdruckslos. »Alles ist wunderbar. Alles ist genau so, wie es sein soll.«
    »Okay.«
    Das Auto hinter ihr hupte. Sie streckte den Arm aus dem Fenster und zeigte dem Fahrer den Mittelfinger.
    »Es ist rot, du Genie!«
    »Um genau zu sein …«
    Calvin musste seinen Satz nicht beenden. Die Ampel war vor mehreren Sekunden umgesprungen. Die einladende Kreuzung winkte. Sie drückte das Gaspedal zu grob durch, und das Auto schlingerte mit quietschenden Reifen darüber hinweg.
    »Also gibt es kein Problem?«, fragte Calvin.
    »Nein. Kein Problem. Warum fragst du?«
    »Ich weiß nicht. Vielleicht, weil du an der letzten Kreuzung diesen Typen fast überfahren hättest.«
    »Ich hatte Grün.«
    »Er war blind.«
    Sie biss die Zähne zusammen. »Na und? Er hatte doch einen Hund, oder? Wenn er angefahren wird, gib nicht mir die Schuld! Gib dem Hund die Schuld!«
    »Aha. Du sollest vielleicht lieber rechts ranfahren, bevor du jemanden umbringst.«
    »Wozu die Mühe?«
    Sie nahm eine Kurve zu scharf, prallte gegen den Bordstein und hätte beinahe eine kleine Gruppe Fußgänger mitgenommen.
    »Fahr rechts ran.« Er sprach mit ruhiger Autorität. Er gab nicht oft Befehle, doch mit diesem Ton hatte er ihre Aufmerksamkeit. Sie fuhr auf einen Parkplatz. Er griff hinüber, stoppte den Motor und nahm die Schlüssel.
    »Vielleicht sollte ich fahren.«
    »Du weißt nicht, wie.«
    »Du könntest es mir beibringen.«
    Er lächelte. Sie nicht.
    »Vielleicht habe ich Besseres zu tun, als mich um dich zu kümmern«, sagte sie.
    »Wow! Wo kam das jetzt her?«
    Sharon trommelte mit den Fingern auf das Lenkrad. Sie hielt den Blick stur nach vorn gerichtet. Wenn sie ihn ansah, konnte sie nicht wütend bleiben. Sie mochte ihn viel zu gern. Zum Henker, vielleicht liebte sie ihn sogar, und die Lächerlichkeit dieser Vorstellung ließ sie bitter lächeln.
    »Habe ich etwas falsch gemacht?«
    »Du. Nein. Du machst nie etwas falsch.«
    Und das stimmte. Er konnte gar nichts falsch machen, denn er war nicht menschlich. Er war so weit von Menschlichem entfernt, dass man genauso gut einem Orkan sagen konnte, er habe etwas falsch gemacht. Oder einen Asteroiden als boshaft bezeichnen, nur weil er die Dinosaurier ausgelöscht hatte. Wenn er die Welt zerstören sollte, war das dann nicht sein Recht?
    Nur dass er das nicht tat. Er verletzte niemals jemanden. Er war der netteste Kerl, dem sie je begegnet war, und auch wenn einige glauben mochten, es sei ziemlich einfach, freundlich zu sein, wenn man keine Bedürfnisse hatte, wenn man unsterblich und unverwundbar war, wenn man so über dem kleinlichen Gezänk dieser Welt stand, hatte Sharon trotzdem den Verdacht, dass genau das Gegenteil der Fall war. Sie hatte sich schon öfter in seine Lage versetzt, und es hatte immer damit geendet, dass sie auf all die unbedeutenden Staubkörner wütend wurde, die um sie herumschwirrten, und dass sie große Lust gehabt hatte, sie und ihre Städte alle zusammen in ihrer Wut zu zerquetschen.
    Sie schloss die Augen. »Es tut mir leid.«
    Er machte das unbestimmte Geräusch, das er für die Augenblicke reserviert hatte, wenn ihm menschliches Verhalten nicht einleuchtete.
    »Es ist mein Problem«, sagte sie. »Ich hatte nur nicht damit gerechnet, dass es so

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