Der Mondmann
er sich Gedanken darüber, was er nun unternehmen sollte. Dass er fuhr, war klar, doch er wusste beim besten Willen nicht, wohin er fahren sollte.
Wo hätte der Entführer – wenn es denn einen gab – Melody hinschleppen können?
Nichts kam ihm in den Sinn. Es gab keine Lösung, und der Blick in die Garage sorgte wieder für eine schmerzliche Erinnerung an Melody, als er ihr Bike sah.
Mit halb geschlossenen Augen blieb Casey für wenige Augenblicke stehen und ballte die Hände. Er konnte nicht verhindern, dass ihm das Blut in den Kopf stieg und sein Gesicht rötete, aber ein Zurück gab es für ihn nicht mehr.
Casey Marwood schob das Rad aus der Garage. Die Tür wollte er nicht mehr schließen. Zu stehlen gab es nicht viel, abgesehen von einigen Kleidungsstücken, die er und Melody bereits verpackt hatten, um sie wieder an den Absender zurückzuschicken. Auf keinen Fall wollten sie dieses Label in ihrem Sortiment führen.
Er schob das Rad an seinem abgestellten Auto vorbei und wollte auf steigen, doch er bekam nicht mal den Fuß vom Boden hoch, weil ihn etwas erschreckte.
Vor ihm auf dem Erdboden stand der Rabe mit seinen mondlichtgelben Augen und starrte ihn an!
Mit dieser Begegnung hatte er nicht mehr gerechnet. Deshalb traf ihn der Anblick auch wie eine kalte Dusche. Erneut wirbelten durch seinen Kopf die Gedanken und Vermutungen, aber die konnten die Furcht in ihm nicht unterdrücken.
Der Vogel war nicht wirklich ein Gegner für ihn. Trotzdem flößte er ihm Angst ein.
Er wollte etwas. Er hatte etwas vor. Ihn beobachten? Und er stand sicherlich mit Melody in einer Verbindung. Aber auch mit der Person, die Melody entführt hatte.
Ja, das war es. Der Mondmann hatte den Raben als seinen Böten gesandt. Er wollte über das informiert sein, was deren Mann tat. Und da war der Vogel perfekt.
Casey löste die linke Hand vom Lenker. Er besaß an den Enden Griffe aus Hartgummi. Mit der freien Hand wollte Marwood den Vogel wegscheuchen. Hektisch bewegte er sich auf den Raben zu.
»Hau ab! Los, hau ab! Verschwinde endlich! Du hast hier nichts zu suchen...«
Der Vogel hatte ihn sicherlich gehört. Er wollte nicht reagieren. Es machte ihm zudem nichts aus, dass der Mann seine Hand so hektisch bewegte, er blieb auf dem Boden sitzen, den Kopf leicht zurückgelegt und schaute hoch.
Dem Kaufmann war klar, dass er nicht hier warten konnte, bis es dem Raben einfiel, wegzufliegen. Ich muss sogar damit rechnen, dass der Vogel bleibt und erst wegfliegt, wenn er einen Befehl erhält oder ich mich bewege, dachte Casey.
Marwood umfasste die Griffe wieder mit beiden Händen. Seinen Plan, Melody zu suchen, hatte er nicht aufgegeben. Auch wenn der Rabe vor ihm stand, er würde fahren.
Leicht schob er das Rad an. Es war keines dieser Bikes, mit dem er durch das Gelände über Stock und Stein fahren konnte. Er brauchte so etwas nicht. Eine gute Qualität und eine entsprechende Gangschaltung waren ihm wichtiger.
Casey schob das Rad vor, stemmte seinen linken Fuß dabei auf die Pedale, schwang das rechte Bein in die Höhe und ließ sich auf dem Sattel nieder. Dabei zitterte er. Beinahe wäre das Rad noch gekippt. Zum Glück konnte er es halten und gewann gleichzeitig an Geschwindigkeit, wobei er direkt auf den Vogel zuhielt.
Ein kurzes Flattern mit den Flügeln, und das Tier stieg in die Höhe. Sogar dicht vor seinem Gesicht, sodass er unwillkürlich den Kopf einzog, sich dann duckte und härter in die Pedalen trat.
Wohin er fahren wollte, wusste er nicht. Die Begegnung mit dem Vogel hatte ihn von diesen Gedanken abgelenkt. Er musste die Dinge in seinem Kopf erst neu ordnen. Eine Idee, wo sich seine Frau aufhalten konnte, hatte er nicht, und deshalb würde ihm nichts anderes übrig bleiben, als durch das Tal zu fahren und auf das Glück zu hoffen. Er konnte einfach nicht im Haus bleiben und warten. Das hätte ihn kaputtgemacht. So hatte er etwas zu tun, und er wusste auch, dass er nicht zu den Dörfern fahren würde, denn er glaubte nicht daran, dass seine Frau dort versteckt gehalten würde. Der Mondmann hatte sein eigenes Versteck. Er führte seine eigenen Pläne durch, er wusste genau, was er tat, und er wusste auch, wie er zu seinem Ziel gelangte.
Casey Marwood fuhr recht schnell in Richtung Straße. Von dort aus wollte er nicht in Richtung Rosemount fahren. Ihm war der entgegengesetzte Weg wichtiger.
Den Oberkörper hielt er weit nach vorn gebeugt. Es ging ihm nur um das Fahren. Er wollte nicht an den verdammten Vogel
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