Der Mondmann
Probleme.
»Sie muss nicht unbedingt etwas Wichtiges entdeckt haben, John, sondern etwas Gefährliches, das ihr eine Verletzung oder sogar den Tod bringen kann. Ich habe diesen Mondmann noch nicht zu Gesicht bekommen, und doch gehe ich davon aus, dass er verdammt brutal ist, wenn er seine Kreise gestört sieht.«
»Glaubst du auch, dass er fliegen kann?«
»Ha, keine Ahnung. Ich traue ihm alles zu, John. Nur würde ich gern wissen, wo er sich aufhält.«
So dachte auch ich. Leider gab es für uns keine Chance. Wir wussten nicht, wie er aussah, und es war uns unbekannt, wo sich sein Versteck befand.
Die beiden Raben auf der Kühlerhaube waren es leid, so starr zu stehen. Sie hüpften vor und hackten ihre Schnäbel gegen die Scheibe. Das gefiel Maxine Wells nicht. Sie schaltete die beiden Scheibenwischer ein, und das erschreckte die Vögel so sehr, dass sie flatternd in die Höhe stiegen und sich einen anderen Landeplatz suchten.
»Also, John, wie lange sollen wir noch warten?«
»Keine Ahnung.«
»Und wenn wir losfahren, wo fahren wir dann hin?«
Meine Antwort bestand aus einer Gegenfrage. »Würde es sich denn lohnen, einfach durch die Gegend zu fahren und eine Sightseeingtour bei Dunkelheit durchzuführen?«
»Bestimmt nicht.«
»Dann könnte unser Ziel dein Haus sein.«
»Ja, könnte. Carlotta würde auch dorthin finden, obwohl einige Kilometer dazwischen liegen. Und wir würden dort ebenso untätig sein wie hier.«
»Es kann auch sein, dass uns der Mondmann sucht. Nur mal angenommen.«
Maxine war perplex. »Wie kommst du denn darauf? Der kennt uns doch nicht.«
»Muss er das denn? Sollte es zwischen ihm und den Raben eine Verbindung geben, auf rein geistiger Ebene, meine ich, dann wäre es möglich, dass er über uns informiert ist. Darüber kann man natürlich lachen, aber ich würde es nicht so weit wegdrücken.«
»Nun ja«, sagte sie. »Wenn man es so sieht, hast du vielleicht Recht.« Sie stieß einen wütenden Fluch aus. »Verdammt noch mal, ich werde Carlotta die Leviten lesen, wenn sie wieder bei mir ist. Darauf kannst du dich verlassen. Uns so unter Druck zu setzen, das ist schon mehr als unfair.«
Ich schaute mir die dunklen Vögel an, die uns noch immer beobachteten. Mal flogen einige weg und tauchten in die Dunkelheit ein, dann kamen andere wieder. Ob es die Gleichen waren, die zuvor weggeflogen waren, wusste ich nicht, denn für mich sahen die Raben irgendwie alle gleich aus.
Die Tierärztin hatte ihre Sitzhaltung verändert und suchte nun den Himmel ab. Zu entdecken gab es nichts. Der dunkle Vorhang über uns ließ nichts frei. Und so kamen wir uns weiterhin vor wie ins Abseits gestellt.
»Ich warte nicht mehr länger«, erklärte Maxine.
»Okay, wo willst du hin?«
»Mir ist noch eine dritte Möglichkeit eingefallen. Wir fahren einfach ein wenig durch die Gegend und benehmen uns dabei wie Störenfriede. Na, wie gefällt dir das?«
»Es ist jedenfalls besser, als hier zu hocken und auf etwas zu warten.«
»Genau das meine ich auch.«
Maxine Wells war eine Frau der schnellen Entschlüsse. Was sie sich einmal in den Kopf gesetzt hatte, das zog sie auch durch. Eine kurze Umdrehung des Zündschlüssels und der Motor sprang an. Noch in der gleichen Sekunde stach das Licht der beiden Scheinwerfer wie helle Lanzen in die Nacht.
Das erschreckte die Vögel. Mit wilden Bewegungen ihrer Flügel flatterten sie hoch, um der Helligkeit zu entwischen.
Maxine gab so hart Gas, dass der Mercedes nach vom ruckte und ich gegen die Rückenlehne gepresst wurde.
»He...«
» Sorry , John, aber das musste sein. Auch eine Tierärztin ist nur ein Mensch...«
***
Carlotta war wie erstarrt. Nichts an ihr bewegte sich mehr. Sie hockte auf der obersten Treppenstufe, lauschte in die Tiefe hinein und fragte sich, ob sie sich geirrt hatte oder nicht. Es konnte sein, dass ihr die Nerven einen Streich gespielt hatten und das Geräusch nur Einbildung gewesen war.
Es hätte auch am Wind liegen können, der, obwohl er alles andere als stark wehte, sich trotzdem in irgendwelchen Öffnungen verfing und deshalb diesen Jammerlaut verursacht hatte.
Beiden Möglichkeiten gab sie nicht viele Chancen. Viel wahrscheinlicher war, dass dieser Laut von einem Menschen stammte, der in diesem alten Turm gefangen gehalten wurde.
So etwas konnte es geben. Wer kümmerte sich schon um diesen verlassenen Turm? Sicherlich die wenigsten Menschen. Er stand hier in der Landschaft und war vergessen worden, aber für den Mondmann
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