Der Mondscheingarten
die erwartungsvoll neben dem Bett standen. Lilly musste schmunzeln. Kaum vorstellbar, dass sich die beiden an die Weisung ihrer Mutter hielten. Wahrscheinlich hätten sie und auch Ellen nachgesehen, sobald ihre Mütter ihnen den Rücken zugedreht hätten. Oder blufften die beiden nur?
Wie auch immer, Lilly wandte sich der Schachtel zu und öffnete sie dann bedächtig. Kurz darauf stockte ihr der Atem. Inmitten von lindgrünem, mit Blättermuster verziertem Seidenpapier lag ein flaschengrünes Kleid – genau die Farbe, die am besten zum Rotton ihres Haars passte.
»Oh, das sieht aber schön aus!«, staunte Norma, und Jessi fragte: »Darf ich das auch mal anprobieren?«
Lilly wusste zunächst nicht, was sie sagen sollte. Sonst hielt sie ihre Kleidung eher schlicht; mehr als eine Jeans und eine Bluse, im Winter einen schwarzen Rollkragenpullover und manchmal auch einen Hosenanzug, wenn es zu irgendwelchen Messen ging, brauchte sie nicht. Am wohlsten fühlte sie sich in Jeans und Shirt.
Das Kleid, das jetzt im Nachmittagslicht glänzte, toppte alles, was sie in ihrem Kleiderschrank hatte. In einem ganz normalen Pub oder auf der Straße wäre sie damit rettungslos overdressed.
»Gefällt es dir nicht?«, fragte Jessi, als wollte sie sich das Kleid, das vollkommen unpassend für eine Elfjährige war, unter den Nagel reißen.
»Doch, es ist …« Wahnsinnig teuer, dachte Lilly, fügte dann aber rasch hinzu: »Es ist wunderschön!«
Vorsichtig ließ sie ihre Hand über den Stoff gleiten. So weich, wie er aussah, fühlte er sich auch an. Damit könnte sie sich getrost im Buckingham Palace sehen lassen. Oder in Ascot. Und keine Frage, Ellen hatte es durchaus drauf, sie an solche Orte zu bringen. Nun, vielleicht nicht in den Palast, auch für Pferderennen war es zu früh, aber wer weiß, was sie plante?
»Wenn ich groß bin, will ich auch so eins!«, tönte Norma und klatschte in die Hände. »Oder leihst du mir deins, Tante Lilly?«
»Bis du so alt bist, dass du so was tragen kannst, hat sich die Mode bestimmt wieder geändert«, entgegnete Lilly, gönnte sich noch einen Blick und legte den Deckel wieder auf die Schachtel.
Die beiden Mädchen sahen sich an, dann fragte Jessi: »Sollen wir dir was zu trinken bringen, Tante Lilly?«
Ganz die perfekten Gastgeberinnen.
»Danke, das ist lieb von euch, aber erst einmal möchte ich euch etwas geben.«
Sie ging zum Koffer und reichte ihnen wenig später ihre Geschenke. In einem netten kleinen Laden hatte sie von Hand bedruckte Shirts und Taschen gefunden. Die Verkäuferin hatte ihr versichert, dass die Jugendlichen momentan total darauf abfuhren.
»Was ist da drin?«, fragte Norma, während sie das Päckchen befühlte.
»Berliner Luft«, antwortete Lilly lachend. »Packt es am besten gleich aus – und vor allem, probiert es an.«
Die Mädchen schienen mit Lillys Vorschlag einverstanden zu sein, denn sie verschwanden mit ihrer Beute in ihre Zimmer. Wieder musste Lilly an sich selbst und Ellen denken. Die Weihnachtsgeschenke, die sie von Ellens Pflegemutter bekamen, hatten sie immer gemeinsam ausgepackt. Wahrscheinlich taten das ihre Kinder jetzt auch. Ungewöhnliche Kinder, dachte Lilly, während sie die Schachtel beiseiteräumte und den Koffer auf die Bettdecke – ein handgearbeiteter Quilt mit dunkelroten Rosen – fallen ließ. So höflich, wie man sie in Berlin kaum noch findet.
Während sie ihr Gepäck auf die Fächer des Kleiderschrankes verteilte, dachte Lilly darüber nach, was Peter wohl zu dem Kleid gesagt hätte. Er hatte es nicht gern gesehen, wenn Ellen ihr wertvolle Geschenke machte, doch Ellen hatte ihn immer wieder davon überzeugt, dass sie keine Gegenleistung erwartete.
»Lilly und ich kennen uns schon wesentlich länger als ihr beide«, hatte sie dann immer gesagt. Ihrem Charme hatte Peter letztlich nicht widerstehen können.
Und sicher hätte ich ihm in dem Kleid gefallen, dachte Lilly, wenngleich sie noch immer keine Ahnung hatte, wann sie es tragen sollte.
Das Brummen eines Motors und das Knirschen des Schotters unter heranrollenden Rädern riss Lilly aus ihren Gedanken. Das musste Ellen sein!
Als sie ans Fenster trat und den schweren Vorhang beiseiteschob, bestätigte sich ihre Vermutung.
Lächelnd beobachtete Lilly, wie Ellen ausstieg, zum Kofferraum eilte und zwei prall gefüllte Einkaufstüten hervorzog. Damit bepackt, erklomm sie die Treppe und verschwand im Hauseingang.
Sicher würden Jessi und Norma ihrer Mutter sofort
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