Der Mondscheingarten
ein echter englischer Landsitz.
Das von Frost überzuckerte Wohnhaus verfügte über zahlreiche Giebel, Türmchen und Schornsteine, in den altertümlich belassenen Fenstern spiegelte sich der blaue Winterhimmel.
Ellen und ihr Mann Dean hatten das Haus vor etwa zehn Jahren einem englischen Geschäftsmann mit adeligen Wurzeln abgekauft. Damals war es ziemlich heruntergekommen gewesen, der Geschäftsmann hatte sich kaum darum kümmern können und war froh gewesen, den »Kasten« los zu sein.
Dean, dem ein großes Bauunternehmen in London gehörte, hatte innerhalb eines halben Jahres aus dem Schandfleck ein Kleinod gemacht, das trotz aller Modernisierung immer noch imstande war, den Besucher in Tudorzeiten zurückzuführen.
Lilly bedauerte auf einmal, dass sie seit Peters Tod nicht mehr oft hier gewesen war. Dean und Peter hatten sich hervorragend verstanden. Wahrscheinlich hatte sie sich davor gefürchtet, dass Dean und auch Ellen sie mit zu viel Mitleid überschütten könnten. Aber die Zeiten waren vorbei, und Lilly spürte bereits jetzt, dass der Besuch diesmal etwas in ihr ändern würde, also drückte sie den Knopf der Gegensprechanlage.
Als Antwort auf ihr Klingeln ertönte bedrohlich tiefes Bellen. Wenig später kamen zwei Rottweiler angerannt. Die beiden massigen Tiere drängten sich auf dem schmalen Kieselweg gegenseitig beiseite und zeigten ihre gefährlich gebleckten Gebisse. Als sie Lilly jedoch erkannten, entspannten sie sich, sprangen am Gitter hoch und hechelten ihr ihren heißen Atem entgegen.
Weniger bedrohlich wirkten sie dadurch nicht, aber Lilly, die vorsorglich ein Stück vorm Tor zurückgewichen war, wusste, dass sie eigentlich nur auf Zuruf bissen. Eigentlich.
»Ja, hallo?«, meldete sich nach einem lauten Knacken eine Kinderstimme, die Lilly sofort wiedererkannte, obwohl sie seit ihrem letzten Besuch ein wenig gereift war.
»Norma? Ich bin’s, Tante Lilly.«
»Hi!«, antwortete die Stimme freudig. »Warte, ich mach auf.«
Lilly hörte, wie das Tor aufschnappte, warf dann den Hunden einen skeptischen Blick zu. Wie hießen die beiden noch mal? Skippy und Dotty?
Lilly entschied sich, sie nicht anzusprechen, während sie vorsichtig das Tor aufschob.
Da ertönte ein schriller Pfiff. »He, ihr beiden, werdet ihr wohl die Lady in Ruhe lassen?«
Rufus, der Gärtner, winkte ihr zu. Lilly atmete erleichtert durch. Die Hunde hörten auf ihn. Nachdem sie noch einmal in ihre Richtung geblickt hatten, stürmten sie mit langen Sprüngen zu ihm.
Als sie näher kam, sah sie, dass er gerade ein paar Äste zusammengetragen hatte, um sie zu schreddern.
»Hallo, Mr Devon!«, grüßte Lilly den Gärtner, der etwas aus seiner Tasche zog und dann von sich schleuderte. Mit Erfolg, denn die Hunde hasteten dem Gegenstand, der wohl ein kleiner Ball war, hinterher.
»Hallo, Mrs Kaiser«, entgegnete er und wischte sich rasch die Hand an seiner Arbeitshose ab, bevor er sie Lilly reichte. »Mrs Morris hat mich schon vorgewarnt, dass Sie kommen. Ich habe ja gehofft, vorher schon alles fertig zu haben, leider halten mich die beiden Lauser dahinten immer wieder ab.«
Rufus Devon war ein Witzbold – und ein Hundenarr. Irgendwie schaffte er es, dass selbst die scheuesten oder rauflustigsten Hunde ihn mochten. Vielleicht lag das daran, dass er aus einer Familie von Hundezüchtern stammte, denen die Vierbeiner im Blut lagen.
»Ich glaube, selbst David Copperfield könnte keine Veilchen aus dem Schnee zaubern«, entgegnete Lilly. »Dass Sie herkommen und sich auch jetzt um den Garten kümmern, ist schon sehr viel, die eigentliche Saison beginnt doch erst in ein paar Monaten.«
»Stimmt, aber bis dahin will ich alles fertig haben. Soll doch wieder schön aussehen, der Park.«
»Das wird er, da bin ich sicher!«
Nachdem sich Lilly von Mr Devon verabschiedet hatte, wandte sie sich dem Haus zu. Dabei versuchte sie, möglichst bewusst einzuatmen, denn die Luft war völlig anders als in Berlin. Sie roch nach Holzspänen und Humus, nach faulenden Blättern und schmutzigem Schnee. Nach Tannennadeln, alten Balken, nach Schilfrohr und Teich.
Hinter Lilly begann nun der Schredder zu rattern, ein Geräusch, das ihr eine Gänsehaut über den Rücken jagte. Es wurde Zeit, dass sie ins Haus kam. Bei aller Sympathie zu Rufus Devon war sie geradezu allergisch gegen Lärm und froh, dass es ein wenig leiser wurde, als sie endlich vor der Treppe stand, die zur Eingangstür hinaufführte.
Wieder fühlte sie so etwas wie Neid, als
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