Der Mondscheingarten
berichten, dass sie angekommen war.
Lilly löste sich vom Fenster und verließ mit dem Geschenk für Ellen ihr Zimmer. Schon im Gang hörte sie, dass Ellen in der Küche werkelte. Offenbar war sie so früh zurück, weil sie sie – wie immer bei ihren Besuchen – bekochen wollte.
»Hi, Ellen!«
Ihre Freundin schrak zusammen und hätte beinahe das Päckchen mit dem Fleisch fallen gelassen, das sie gerade in den Kühlschrank legen wollte.
»Lilly, du bist wach? Ich dachte, du legst dich nach dem Flug erst mal ein bisschen hin.«
»Wieso sollte ich?«, entgegnete Lilly lächelnd. »Ich komme doch nicht aus Singapur. Und ich bin viel zu aufgewühlt, um zu schlafen, denn eigentlich müsste ich ja mit dir schimpfen …«
Lange konnte sie ihre vorwurfsvolle Miene nicht halten. Mit einem breiten Lächeln umarmte sie ihre Freundin.
»Ah, du hast es gefunden«, entgegnete Ellen, während sie Lilly fest an sich drückte. »Sag bloß, es gefällt dir nicht.«
»Natürlich gefällt es mir! Aber es muss doch wahnsinnig teuer gewesen sein? Und wo bitte schön soll ich das tragen?«
Ellen ließ sie wieder los. Auf ihrem Gesicht lag ein breites Grinsen. »Na, denkst du denn, ich lasse es mir nehmen, meine Freundin, die ich mittlerweile nur ein- bis zweimal im Jahr sehe, ins Ritz einzuladen? Oder wir können auch in einen dieser sündhaft teuren, neu eröffneten Läden gehen. Es gibt so einige stylische Restaurants hier, in denen du gute Chancen hast, mal ein paar Schauspieler zu sehen.«
Wollte sie das? Im Moment, so merkwürdig es ihr auch vorkam, wollte Lilly nur den Mann aus dem Flugzeug wiedersehen. Egal ob in einem Pub oder in einem schicken Restaurant.
»Dagegen komme ich mir mit meinen Gastgeschenken regelrecht lumpig vor.« Lilly reichte ihr die Schachtel, die sie in das mit echten gepressten Blüten verzierte Papier eingeschlagen hatte, das sie vor Jahren von einem Ausflug in die Berge mitgebracht hatte.
Ellen schüttelte den Kopf, als sie den Karton zum Tisch trug. »Es gibt kein lumpig bei mir, das weißt du doch. Was hast du denn für mich?« Ellens Tonfall erinnerte an die Vierzehnjährige, die sie einst gewesen war.
Lilly hatte lange überlegt, was ihrer Freundin gefallen könnte. Etwas aus ihrem eigenen Laden zu nehmen, war ihr schäbig erschienen, also hatte sie sich zu der Konkurrenz begeben und einen silbernen Kerzenleuchter erstanden, der gut zu dem langen Tisch im Esszimmer passte.
Jetzt zweifelte sie ein wenig, ob er ihr gefallen würde, doch als Ellen das Päckchen öffnete, huschte ein ehrliches Lächeln über ihr Gesicht. »Der ist wunderschön. Ist der aus deinem Laden?«
»Nein, von der Konkurrenz in Mitte. Dort hat ein wunderbares Geschäft eröffnet. Da wundert’s mich nicht, dass die Kunden bei mir ausbleiben.«
Eine schwache Sorgenfalte erschien zwischen Ellens Augenbrauen. »Geht dein Laden nicht gut?«
Lilly winkte ab. »Nur eine momentane Flaute. Ist meist nach Weihnachten so. Das gibt sich spätestens dann wieder, wenn die Touristen kommen. Ich habe schon überlegt, haufenweise Kuckucksuhren zu ordern, auf die fahren besonders die Japaner richtig ab.«
»Klar, ist ja auch typisch berlinerisch.« Ellen lachte auf, dann schloss sie ihre Freundin in die Arme. »Du hast mir so sehr gefehlt. Das nächste Mal bleibst du mir aber kein halbes Jahr weg, okay?«
»Ich werde sehen, was sich machen lässt. Wenn der Laden brummt, kann ich Sunny unmöglich allein lassen.«
»Hilft sie dir immer noch aus?«
»Ja, gerade wieder. Schade nur, dass sie andere Ambitionen hat, eigentlich wäre sie die geborene Antiquitätenhändlerin.« Ellen kannte Sunny von ihrem letzten Besuch bei Lilly. Damals war Sommer gewesen, und die Kunden hatten ihr dermaßen die Tür eingelaufen, dass sie es allein nicht geschafft hätte. Ohne Sunny wäre sie aufgeschmissen gewesen. Und dank ihr hatte sie Ellens Überraschungsbesuch auch ein bisschen genießen können.
»Dann versuch doch, sie zu überzeugen. Für Geisteswissenschaftler sieht es bei euch sicher nicht rosiger aus als bei uns. So hätte sie wenigstens einen Job.«
Lilly nickte. »Ich versuche es. Wenn die Geschäfte wieder besser werden, wollte ich ohnehin eine Aushilfe einstellen. Damit ich dich besuchen kann.«
»Und nicht zu vergessen, die weite Welt sehen.«
Lilly senkte traurig den Kopf. »Ja, die weite Welt … Wenn Peter noch leben würde …« Sie stockte in der Annahme, dass das das Letzte war, was ihre Freundin hören wollte. Doch Ellen
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