Der Mondscheingarten
einen vielleicht etwas schwerer als die des anderen, aber Probleme haben alle. Du müsstest mich mal über die Firma fluchen hören! Und manchmal auch über Dean, wenn der was angestellt hat. Wichtig ist, dass man bei allem Mist, der einem begegnet, den Mut nicht verliert und einen Weg findet, sich von den schlechten Dingen zu befreien.«
»Ich wünschte, das könnte ich«, entgegnete Lilly ein wenig niedergeschlagen. »Es ist schon eine Weile her, aber ich ertappe mich manchmal immer noch dabei, dass ich abends auf Peter warte. Dass ich mit ihm spreche.«
»Das ist doch ganz natürlich! Und ich wäre sehr unsensibel, wenn ich dir raten würde, das seinzulassen. Aber vielleicht solltest du wirklich mehr rauskommen und Leute kennenlernen. Dass du zu mir kommst, ist ja schon mal ein Schritt, aber in Berlin gibt es sicher doch auch schöne Orte.«
»Ja sicher, aber …« Lilly presste die Lippen zusammen. Ellen hatte recht. Aber wenn sie unterwegs war, wollte bei ihr der Spaß nicht so recht aufkommen. Das war früher einmal anders gewesen.
»Was aber?«, hakte Ellen nach.
»Aber es fühlt sich alles so falsch an ohne ihn. In Parks sehe ich glückliche Paare, und es zerreißt mich fast zu sehen, wie sie sich in den Armen halten und küssen. Ich sehe Familien und sage mir, das hätten wir sein können.«
Ellen schwieg einen Moment nachdenklich. Lilly vernahm das Krächzen eines Raben und das leise Geräusch seiner Schwingen, als er über sie hinwegflog.
»Das klingt vielleicht hart, aber das, was gewesen ist, kannst du weder zurückholen noch ändern«, begann ihre Freundin schließlich. »Peter hätte gewollt, dass du weitermachst, dass du vorangehst. Dass du dir die Welt ansiehst, solange du kannst. Er hätte nicht gewollt, dass du steckenbleibst in Erinnerungen.«
»Aber wie kann ich mich von ihnen lösen?«, fragte Lilly. »Wie soll ich ihn aus meinem Kopf bekommen?«
»Das sollst du nicht. Aber vielleicht gibt es eine Möglichkeit, dich wieder … zum Leben zu erwecken …«
Zum Leben erwecken? Zunächst wollte Lilly protestieren, doch im nächsten Moment sah sie ein, dass Ellen recht hatte. Sie atmete, sie nahm Dinge wahr, sie existierte. Aber mit Peter hatte sich alles anders angefühlt – lebendiger eben.
Eine Weile schritten sie schweigend durch den Garten, umrundeten den kleinen Brunnen, der mit einem Eisengitter umgeben und mit Brettern abgedeckt worden war, und passierten zwei hübsch verzierte Bänke, die darauf warteten, dass der Schnee schmolz und die Hausbesitzer wieder die Sonne auf ihnen genossen.
»Gibt es denn wirklich keinen Mann, der dich interessieren würde?«, nahm Ellen das Gespräch nun wieder auf.
Lilly schüttelte den Kopf. »Nein, keinen. Bei mir tauchen nur alte Männer auf, die mir irgendwelche Geschenke dalassen und spurlos verschwinden.«
»Nun, das hatte ich immerhin noch nicht. Ich bin schon sehr gespannt auf dein Schätzchen. Ich habe Terence angewiesen, meine morgigen Vormittagstermine zu verschieben, damit ich Zeit für dich habe.«
»Terence?«
»Mein Sekretär.«
»Und wie willst du vorgehen?«
»Mit der üblichen Routine. Ich werde sie mir gründlich ansehen und dann ein paar winzige Lackproben an unser Labor schicken. Anschließend sehen wir weiter.«
»Und wenn es doch nur Jahrmarktplunder ist?«
»Dann haben wir eine lustige Geschichte zu erzählen. Aber jetzt sollten wir besser reingehen, damit ich mit dem Kochen beginnen kann.« Damit hakte Ellen Lilly unter und zog sie zurück zum Haus.
Eine Stunde später war das Essen fertig. Ellen war es ohne größere Unfälle gelungen, etwas aus Kräutern, Fleisch, Tomaten, Kartoffeln und Weißwein zu zaubern. Außerdem sollte es Rice Pudding geben, eine Art englischen Milchreis mit Vanille, Zimt und Muskat.
Lilly, die in der breiten Laibung des Küchenfensters saß, fühlte sich angenehm benebelt von der Wärme und dem Wein, den sie mit Ellen beim Kochen getrunken hatte. Da sie nur selten Alkoholisches zu sich nahm, spürte sie die Wirkung schnell, er machte ihren Kopf leicht und pinnte ihren Körper regelrecht an ihren Sitzplatz. An diesem Ort könnte ich bleiben, ging es ihr durch den Sinn.
Vom Küchenfenster aus hatte sie beobachtet, wie das Licht vollends hinter den kahlen Bäumen verschwand, wie aus dem violetten Himmel schließlich ein tiefblauer wurde, der übersät war von Tausenden frostigen Sternen. Die Nächte in Berlin sahen nie so aus, überall gab es Licht, Licht, das die Sterne
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