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Der Monstrumologe - Der Monstrumologe - The Monstrumologist

Der Monstrumologe - Der Monstrumologe - The Monstrumologist

Titel: Der Monstrumologe - Der Monstrumologe - The Monstrumologist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rick Yancey
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morgen einen langen Tag vor uns und eine noch längere Nacht. Schlaf gut, Will Henry, und lass dich nicht von den Bettwanzen beißen!«



ELF
    »Uns bleibt jetzt keine Wahl mehr«

    Der Morgen dämmerte und es war bewölkt; der finstere Himmel war eine ununterbrochene Fläche aufgewühlten Graus, das sich, von einem steifen Westwind getrieben, rastlos dahinwälzte. Als ich aus meinem unruhigen Nickerchen erwachte (es als Schlaf zu bezeichnen, wäre eine Beleidigung Somnus’ gewesen), war es bis auf das Seufzen des Windes im Dachgesims und das Ächzen des alten Balkenwerks still in der Harrington Lane 425. Sowohl Kearns’ als auch die Tür des Doktors waren geschlossen, aber die von Malachi stand offen und das Bett war leer. Ich eilte nach unten und stellte fest, dass die Kellertür angelehnt war und das Licht unten brannte. Ich rechnete damit, den Doktor dort vorzufinden; stattdessen entdeckte ich Malachi, der mit gekreuzten Beinen und in Strümpfen auf dem kalten Boden saß und die Bestie betrachtete, die ein paar Fuß von ihm entfernt mit den Schultern nach unten hing.
    »Malachi«, sagte ich, »du solltest nicht hier unten sein.«
    »Ich konnte niemand finden«, erwiderte er, ohne die Augen von dem toten Anthropophagen abzuwenden. Er nickte in seine Richtung. »Er hat mir einen ziemlichen Schrecken eingejagt«, gestand er sachlich. »Das fehlende Auge. Ich dachte, es sei sie .«
    »Komm mit«, drängte ich ihn. »Ich werde uns Frühstück machen.«
    »Ich habe nachgedacht, Will. Wenn das hier vorbei ist, dann könnten du und ich weglaufen, wir beide. Wir könnten zusammen in die Armee eintreten.«
    »Ich bin zu jung«, legte ich dar. »Bitte, Malachi, der Doktor wird –«
    »Oder wir könnten auf einem Walfänger anheuern. Oder nach Westen gehen. Wäre das nicht großartig! Wir könnten Cowboys sein, Will Henry, und übers offene Weideland reiten. Oder Indianerkämpfer werden oder Banditen, so wie Jesse James. Wärst du nicht gern ein Bandit, Will?«
    »Mein Platz ist hier«, antwortete ich. »Beim Doktor.«
    »Aber wenn er fort wäre?«
    »Dann würde ich mit ihm gehen.«
    »Nein, ich meine, wenn er diesen Tag nicht überleben sollte?«
    Die Vorstellung bestürzte mich. Es war mir nie in den Sinn gekommen, dass Warthrop sterben könnte. Angesichts der Tatsache, dass ich ein Waisenkind war, dessen naiver Glaube an die immerwährende Anwesenheit seiner Eltern zerstört worden war, sollte man meinen, dass diese Möglichkeit einen großen Raum in meinem Denken einnahm, aber ich hatte nie darüber nachgedacht, bis zu diesem Moment. Bei dem Gedanken bekam ich eine Gänsehaut. Was, wenn der Doktor sterben sollte? Ich wäre frei, ja, frei von dem, was Kearns »dieses dunkle und dreckige Geschäft« genannt hatte, aber frei, was zu tun? Frei, wohin zu gehen? In ein Waisenhaus, höchstwahrscheinlich, oder eine Pflegestelle. Was wäre wohl schlimmer: die Vormundschaft unter einem Mann wie dem Monstrumologen oder das elende, einsame Leben eines Waisenkinds, das allem beraubt und von niemandem gewollt war?
    »Er wird nicht sterben«, sagte ich ebenso sehr zu mir wie zu Malachi. »Er hat schon öfter in der Klemme gesteckt.«
    »Ich auch«, erwiderte Malachi. »Die Vergangenheit verspricht gar nichts, Will.« Ich zupfte ihn am Ärmel, um ihn zum Aufstehen zu bewegen. Ich wusste nicht, wie der Doktor reagieren würde, falls wir entdeckt würden, und ich wollte es auch nicht herausfinden. Malachi schob mich weg und stieß dabei mit der Hand an mein Bein. In meiner Tasche klapperte etwas.
    »Was ist das?«, fragte er. »In deiner Tasche?«
    »Ich weiß es nicht«, antwortete ich wahrheitsgemäß, denn ich hatte es völlig vergessen. Ich griff in meine Tasche; es klickte und klapperte in meiner Hand.
    »Dominosteine?«, fragte er.
    »Knochen«, entgegnete ich.
    Er nahm einen und untersuchte ihn. Seine hellen blauen Augen leuchteten vor Faszination.
    »Wofür sind die?«
    »Um die Zukunft vorherzusagen, glaube ich.«
    »Die Zukunft?« Er fuhr mit einem Finger über das höhnisch grinsende Gesicht. »Wie funktionieren sie?«
    »Ich weiß es nicht wirklich. Sie gehören dem Doktor – oder besser gesagt seinem Vater. Man wirft sie in die Luft, glaube ich, und wie sie fallen, verrät einem etwas.«
    »Was verrät es einem?«
    »Etwas über die Zukunft, aber –«
    »Das meine ich doch! Die Vergangenheit ist nichts! Gib sie mir!«
    Er schnappte sich die fünf restlichen Knochen, nahm sie in die gewölbten Hände und schüttelte

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