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Der Monstrumologe - Der Monstrumologe - The Monstrumologist

Der Monstrumologe - Der Monstrumologe - The Monstrumologist

Titel: Der Monstrumologe - Der Monstrumologe - The Monstrumologist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rick Yancey
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Augen von den sterblichen Überresten abzuwenden. »Was einst lachte und weinte und träumte, wurde zu Futter. Das Schicksal hat ihn zu ihr geführt, aber wenn nicht ihn, dann ohne Frage den Wurm, eine nicht weniger gefräßige Bestie als er. Es gibt Monster, die uns alle bei unserer Rückkehr zur Erde erwarten, was soll man also sagen?«
    Er warf das Laken über ihr Gesicht und wandte sich ab.
    »Uns bleibt nicht viel Zeit. Wo es einen gibt, muss es noch mehr geben. Anthropophagen sind nicht besonders fruchtbar; sie bringen nur ein oder zwei Nachkömmlinge pro Jahr hervor. Dennoch, wir wissen nicht, wie lange sie sich schon unbemerkt hier in der Neuen Welt aufhalten. Ungeachtet der genauen Anzahl existiert irgendwo in der Nähe von New Jerusalem eine reproduktive Population dieser Menschenfresser, und sie muss gefunden und ausgerottet werden – oder wir werden überwältigt werden.«
    »Jawohl, Sir«, murmelte ich als Antwort. Mein Kopf fühlte sich leicht an, meine Arme und Beine schwer, und ich sah sein Gesicht abwechselnd scharf und unscharf.
    »Was gibt’s?«, wollte er wissen. »Was ist los mit dir? Du darfst mir jetzt nicht zusammenbrechen, Will Henry!«
    »Nein, Sir«, stimmte ich ihm zu, und dann brach ich auf dem Boden zusammen.
    Er hob mich auf und trug mich die Treppe hoch, durch die Küche, die im sanften Licht der Frühlingssonne leuchtete, in den ersten Stock und anschließend die kleine Leiter hinauf zu meiner Dachkammer, wo er mich auf die Decke meines Betts legte, ohne sich die Mühe zu machen, mir die blutbespritzten Kleider auszuziehen. Den Hut indes nahm er mir ab und hing ihn an den Haken an der Wand. Der Anblick meines ramponierten kleinen Huts, der einsam an diesem Haken hing, war zu viel für mich. Er stellte all das dar, was ich verloren hatte. DenDoktor mit meinem Mangel an innerer Kraft und männlicher Unerschütterlichkeit zu enttäuschen, war undenkbar, trotzdem konnte ich es nicht ertragen, den Anblick dieses Huts und die Erinnerungen, die er verkörperte, neben den Bildern des surrealen Horrors der vorausgegangenen Stunden.
    Ich brach in Tränen aus, rollte mich zu einem schluchzenden Ball zusammen und umklammerte meinen Bauch, während er über mir ragte und keine Anstalten machte, mich zu trösten oder mir Mut zuzusprechen, sondern mich mit derselben gespannten Neugier betrachtete wie die Hoden des Anthropophagen-Männchens.
    »Du vermisst sie, nicht wahr?«, fragte er leise.
    Ich nickte, zu Worten nicht fähig bei meinen herzzerreißenden Schluchzern.
    Er nickte, Hypothese bestätigt. »So wie ich, Will Henry«, sagte er. »So wie ich.«
    Er war völlig aufrichtig. Meine Eltern hatten beide in seinen Diensten gestanden; meine Mutter hatte den Haushalt des Doktors geführt und mein Vater, so wie ich es tat, seit er tot war, seine Geheimnisse gehütet. Bei ihrer Beisetzung hatte mir der Doktor eine Hand auf die Schulter gelegt und gesagt: »Ich weiß nicht, was ich jetzt machen soll, Will Henry. Ihre Dienste waren mir unentbehrlich.« Er schien sich der Tatsache nicht bewusst zu sein, dass er mit dem Kind sprach, das durch ihr Ableben verwaist und obdachlos zurückblieb.
    Es wäre keine Übertreibung zu sagen, dass mein Vater Dr. Warthrop verehrt hatte. Es wäre mehr als eine Übertreibung – tatsächlich wäre es eine ungeheuerliche Lüge – zu sagen, dass meine Mutter dies hatte. Inzwischen, mit der Scharfsinnigkeit, die mit dem Vergehen vieler Jahre kommt, kann ich eindeutig konstatieren, dass die hauptsächliche Ursache der Reibereien zwischen ihnen der Doktor war, oder vielmehr Vaters Gefühle für ihn und Vaters leidenschaftliche Loyalität ihm gegenüber, eine Loyalität, die alle anderen übertrumpfte, einschließlich jeglichen Pflichtgefühls seiner Frau oder seinemeinzigen Kind gegenüber. Dass Vater uns liebte, daran habe ich nie den geringsten Zweifel gehegt; er liebte den Doktor einfach mehr. Das war die Wurzel des Hasses meiner Mutter auf Dr. Warthrop. Sie war eifersüchtig. Sie fühlte sich betrogen. Und es war dieses Gefühl des Betrogenseins, das zu den heftigsten Streitereien zwischen ihnen führte.
    So manche Nacht, bevor das Feuer sie mir raubte, hatte ich wach gelegen und ihnen durch die dünnen Wände meines Zimmers in der Clary Street zugehört, wie der Klang ihrer Stimmen gegen den Gips krachte, so wie Sturzseen gegen einen Deich branden, der Höhepunkt der Auseinandersetzung, die Stunden zuvor begonnen hatte, für gewöhnlich wenn Vater zu spät zum

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