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Der Monstrumologe - Der Monstrumologe - The Monstrumologist

Der Monstrumologe - Der Monstrumologe - The Monstrumologist

Titel: Der Monstrumologe - Der Monstrumologe - The Monstrumologist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rick Yancey
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Brillanz ein sehr enges Spektrum: Der Doktor war ein fürchterlicher Koch.
    Er schöpfte etwas von dem gesundheitsschädlichen Gemisch in eine Schüssel und knallte sie auf den Tisch.
    »Setz dich«, sagte er und zeigte auf den Stuhl. »Iss. Wir werden später keine Gelegenheit dazu haben.«
    Ich gestand der Schleimsuppe ein experimentelles Umrühren mit meinem Löffel zu. Ein gräulich grünes Objekt schwamm auf der Oberfläche der dicken braunen Brühe. Eine Bohne? Es war zu groß für eine Bohne.
    »Gibt es Brot, Sir?«, wagte ich zu fragen.
    »Kein Brot«, antwortete er kurz angebunden. Dann sprang er ohne ein weiteres Wort die Kellertreppe hinunter. Sofort stand ich vom Tisch auf und sah im Korb neben dem Schrank nach. Ein einzelnes Brötchen, vielleicht eine Woche alt, lag gärend darin. Ich schaute mich um, entdeckte keine zweite Schüssel und seufzte. Natürlich hatte er nicht gegessen. Ich kehrte wieder zu meiner Suppe oder meinem Eintopf oder wie auch immer man das Gebräu nennen wollte zurück, stürzte ein paar Schluck mit einem Glas Wasser hinunter und sandte ein paar Worte zu Gott empor – nicht als Dank, sondern als Bittgebet.
    »Will Henry!«, schwebte sein Ruf durch die offene Tür zum Kellergeschoss empor. »Will Henry, wo steckst du? Mach fix, Will Henry!«
    Meine Gebete waren erhört worden. Ich ließ meinen Löffel in die Schüssel fallen – er federte ein wenig, als er auf der schwammigen Flüssigkeit auftraf – und eilte die Treppe hinunter.
    Ich traf ihn auf und ab gehend an, vom Arbeitstisch, wo derLeichnam des Mädchens ruhte, zum Untersuchungstisch, der jetzt leer und sauber gewischt war. In einem nicht geringen Anflug von Panik ließ ich meine Blicke im Raum umherwandern, als sei das Ding irgendwie von den Toten auferstanden und läge im Schatten auf der Lauer. Ich erspähte es zwischen dem Arbeitstisch und den Regalen, die seine Organe beherbergten; es hing an einem Seil, das unter der enormen Last knarrte, mit den Schultern nach unten von der Decke. Unter ihm stand eine große Wanne, die mit dem übel riechenden schwarzen Schlamm seines teilweise geronnenen Blutes gefüllt war. Hier war die Erklärung für die Abfälle auf den Kleidern des Doktors: Er hatte den Kadaver ausbluten lassen. Später würde er mit Konservierungsstoffen behandelt werden, in Leinen gewickelt und von einem privaten Spediteur an die Gesellschaft in New York geliefert werden. Vorerst jedoch hing er hier wie ein geschlachtetes Schwein in einer Fleischerei, die übermäßig muskulösen Arme zu beiden Seiten der Wanne baumelnd, die Krallenspitzen auf dem Boden scharrend, während das Seil sich langsam drehte und unter seinem Gewicht ächzte.
    Ich schaute weg; sein noch verbliebenes Auge, schwarz und lidlos, vom Tod zu reglosem Starren verurteilt, schien meinen Blick direkt zu erwidern: Ich konnte sehen, wie sich meine schmächtige Gestalt in dieser übergroßen Kugel spiegelte.
    Auf meine Ankunft hin hörte der Doktor auf, hin und her zu gehen, und starrte mich mit offenem Mund an, als überraschte ihn meine Gegenwart, nachdem er lautstark nach ihr verlangt hatte.
    »Will Henry!«, rief er. »Wo bist du gewesen?«
    Ich schickte mich an zu sagen »Beim Essen, wie Sie mir aufgetragen haben, Sir«, aber er schnitt mir das Wort ab.
    »Will Henry, was ist unser Feind?«
    Seine Augen strahlten, seine Wangen waren gerötet, Symptome seiner sonderbaren Manie, die ich schon ein Dutzend Mal zuvor gesehen hatte. In seinem Gesicht stand die Antwort auf seine Frage – die in einem Ton gebellt worden war, der mehr anein Kommando erinnerte – deutlich geschrieben. Ich deutete mit einem zitternden Finger auf den aufgehängten Anthropophagen.
    »Unsinn!«, sagte er lachend. »Feindseligkeit ist kein natürliches Phänomen, Will Henry. Ist die Antilope der Feind des Löwen? Schwört der Elch oder der Wapiti dem Wolf ewige Animosität? Wir sind für den Anthropophagen bloß eins: Fleisch. Wir sind Beute, keine Feinde.
    Nein, Will Henry, unser Feind ist die Furcht . Blindmachende, verstandtötende Furcht. Furcht zerstört die Wahrheit und vergiftet jede Klarheit, womit sie uns zu falschen Annahmen und irrationalen Schlussfolgerungen führt. Letzte Nacht erlaubte ich dem Feind, mich zu übermannen; er machte mich der grell leuchtenden Wahrheit gegenüber blind, dass unsere Lage nicht so schrecklich ist, wie die Furcht mich glauben ließ.«
    »Ist sie nicht?«, fragte ich, wenngleich es mir nicht gelang, die Weisheit in seiner

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