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Der Monstrumologe - Der Monstrumologe - The Monstrumologist

Der Monstrumologe - Der Monstrumologe - The Monstrumologist

Titel: Der Monstrumologe - Der Monstrumologe - The Monstrumologist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rick Yancey
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ihm einen frühen Entwurf zukommen lassen, und Vater glaubte, dass die Theorie Anwendungsmöglichkeiten für sein eigenes Studiengebiet bot, eine aufregende Alternative zum Fang oder der Ausrottung der bösartigeren Spezies, wie unseren Freunden, den Anthropophagen. Wenn durch selektive Fortpflanzung wünschenswerte Eigenschaften gefördert und unerwünschte unterdrückt werden könnten,dann könnte das unseren Wissenschaftszweig umwandeln. Eugenik könnte der Schlüssel dazu sein, die Objekte unserer Forschungen vor dem Aussterben zu bewahren, denn durch den Aufstieg des Menschen waren ihre Tage gezählt, es sei denn, so glaubte Vater, es konnte ein Weg gefunden werden, sie zu ›domestizieren‹, ganz wie der heimtückische Wolf zum treuen Hund umgeformt wurde.«
    Er machte eine Pause, weil er offenbar auf irgendeine Antwort von mir wartete. Als keine kam, setzte er sich auf und rief erregt: »Ja siehst du es denn nicht, Will Henry? Es beantwortet die Frage nach dem Warum . Darum wollte er ein fortpflanzungsfähiges Anthropophagen-Pärchen – um Galtons Theorie in die Praxis umzusetzen, um ihre Wildheit und die Vorliebe für Menschenblut wegzuzüchten. Ein einschüchterndes Unterfangen, von gewaltigen Ausmaßen und schwindelerregenden Kosten, weit über seinen finanziellen Möglichkeiten, was die Erklärung dafür sein könnte, wieso er sich 62 mit diesen geheimnisvollen Agenten getroffen hat. Das ist nur eine Vermutung, unmöglich zu beweisen, es sei denn, wir können diese Männer finden, falls sie noch leben, oder irgendeine Aufzeichnung ihrer Vereinbarung, falls eine existiert – oder je existiert hat. Jedenfalls ist das der einzige Grund, den ich mir als Erklärung denken kann, wieso er sich mit solchen Männern getroffen haben sollte, dass er meinte, ihre schlechte Sache könnte seine gerechte fördern.«
    Er hielt inne und wartete wieder auf meine Reaktion. Er schlug mit der Hand auf die Matratze und sagte: »Nun, sitz nicht einfach so da! Sag mir, was du denkst!«
    »Nun ja, Sir«, begann ich langsam. Die Wahrheit war, dass ich nicht wusste, was ich davon halten sollte. »Sie haben ihn gekannt und ich nicht.«
    »Ich habe ihn so gut wie gar nicht gekannt«, sagte er nüchtern. »Noch weniger als die meisten Söhne ihre Väter, wage ich zu behaupten, aber die Theorie passt zu dem, was ich von den Fakten weiß. Nur die Leidenschaft für seine Arbeit konnte ihndazu zwingen, sich Verrätern anzuschließen. Sie war alles, was er hatte; sonst liebte er nichts. Nichts.«
    Er ließ sich auf den Rücken fallen, bettete den Kopf in den Händen und blickte mit starren Augen auf die leere und aufnahmebereite Leinwand über sich. Die Möglichkeiten dessen, was dorthin gemalt werden konnte, wurden nur von den Grenzen seiner hyperbolischen Vorstellungskraft beschränkt. Unsere Unkenntnis der Mitmenschen öffnet unseren galoppierenden Mutmaßungen Tür und Tor, selbst wenn es sich bei diesem Mitmenschen um unseren eigenen Vater handelt. In dieses existenzielle Vakuum stürmen unsere Wünsche und Zweifel, unsere Sehnsüchte und unsere Trauer, für den Vater, der war, und für den Vater, der hätte sein können. Auch wenn meiner kein kalter und abweisender Mensch wie seiner gewesen war, waren wir in diesem besonderen Fall Brüder: Unsere Väter hatten uns nichts als Erinnerungen hinterlassen. Mich hatte ein Feuer aller materiellen Andenken beraubt, bis auf meinen kleinen Hut; das meiste, was Pellinore gehört hatte, hatte Alistair Warthrop mitgenommen. Was von ihnen blieb, waren einfach wir , und wenn wir hinschieden, würden sie es auch. Wir waren die Tafeln, auf denen ihre Leben niedergeschrieben waren.
    »Sonst nichts«, sagte der Monstrumologe. »Gar nichts.«
    Ich blieb die ganze Nacht an seinem Bett, eine zermürbende Nachtwache, die sich nur dem Wesen nach von der Nacht davor unterschied, während der Doktor immer wieder kurz aus einem leichten und nervösen Schlaf erwachte. Wenn ich dann einzunicken begann, schreckte er unvermeidlich hoch und rief mit einer Stimme, in der Panik anklang: »Will Henry! Will Henry, schläfst du?«
    Woraufhin dann meine Antwort lautete: »Nein, Sir; ich bin wach.«
    »Oh«, entgegnete er dann. »Du solltest dich ausruhen, Will Henry. Wir werden all unsere Kraft brauchen in den Stunden, die vor uns liegen. Inzwischen muss er meinen Brief bekommen haben, und wie ich John Kearns kenne, so wird er im frühesten Zug sein.«
    »Wer ist John Kearns?«, fragte ich. »Ist er

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