Der Monstrumologe - Der Monstrumologe - The Monstrumologist
Monstrumologe?«
Er lachte trocken. »Nicht in der strengen Definition des Begriffs, nein. Er ist Chirurg – und ein brillanter, möchte ich hinzufügen. Von der Veranlagung her ist er etwas völlig anderes. Ich hätte Henry Stanley den Vorzug gegeben, wenn ich gewusst hätte, wo ich ihn finden kann. Beide haben Anthropophagen in freier Wildbahn gejagt, und Stanley ist ein Gentleman der alten Schule, ganz anders als Kearns.«
»Er ist Jäger?«
»Ich nehme an, man könnte ihn so nennen, wenn man wollte. Bestimmt hat er auf diesem Gebiet mehr Erfahrung als ich, denn ich habe überhaupt keine, was Anthropophagen anbelangt. Ich sollte dich warnen, Will Henry«, bemerkte er ergänzend, wobei seine Stimme ernst wurde, »nicht zu lange unter dem Einfluss von John Kearns’ Philosophie zu verweilen. Geh ihm aus dem Weg, wenn du kannst.«
»Wieso?«, fragte ich mit der natürlichen Neugier eines Kindes, die, wie alle kindliche Neugier, durch eine ernsthafte Warnung angestachelt wurde.
»Er liest zu viel«, lautete die sonderbare Antwort des Doktors. »Oder nicht wirklich genug; da war ich mir nie sicher. So oder so, halte dich von Dr. John Kearns fern, Will Henry! Er ist ein gefährlicher Mann, aber die Stunde verlangt nach gefährlichen Männern, und wir müssen jedes Werkzeug benutzen, das uns zur Verfügung steht. Es ist zwei Nächte her, seit sie das letzte Mal gefressen haben; sie werden wieder jagen, und zwar bald.«
»Was ist, wenn sie das schon getan haben?«, fragte ich, und bei diesem Gedanken war ich plötzlich wieder hellwach. Das Zimmer schien zu schrumpfen und sich mit bedrohlichen Schatten zu füllen.
»Ich versichere dir, dass das nicht der Fall ist. Der bedauerliche Mr. Gray sollte ihren Appetit gestillt haben, wenigstens noch für ein oder zwei Tage.«
Ich verlieh dem Einwand, der mir sofort durch den Kopf schoss, keinen Ausdruck: Aber was ist, wenn Sie sich irren? Das hatte ich schon einmal versucht und teuer dafür bezahlt. Also hielt ich den Mund. Möge Gott mir vergeben, ich sagte nichts. Vielleicht hätte er, wenn ich kein Blatt vor den Mund genommen hätte, seine Annahme infrage gestellt. Vielleicht hätten, wenn ich darauf bestanden hätte, wenn ich unerbittlich in meinem Zweifel gewesen wäre und mein Vertrauen und meine Ehrerbietung außer Acht gelassen hätte, nicht sechs unschuldige Menschen beinahe unvorstellbare Tode erlitten. Denn genau in dem Moment, da er diese beruhigenden Worte sprach, wurde eine Familie abgeschlachtet. Während wir uns schläfrig die Stunden tiefster Nacht vertrieben, waren die Bestien damit beschäftigt, sie mit Blut zu durchtränken.
ACHT
»Ich bin Wissenschaftler«
Der Morgen graute schon, als ich endlich wegwankte und mich zu Bett begab. Ich zog die Kleider aus und kroch unter die Decken, doch die Stunden des Schlafs, die ich ergatterte, waren spärlich und von plastischen Traumbildern gefräßigen Ungeziefers bevölkert: Würmer und Maden und die blinden, namenlosen, farblosen Geschöpfe, die im Dunkel unter Steinen und nassen, faulenden Baumstämmen leben. Beim Erwachen fühlte ich mich erschöpfter als beim ersten Hinlegen und hatte einen sauren Geschmack auf der Zunge und das tote Gewicht der Angst im Herzen. Der vormittägliche Himmel über mir war wolkenlos und strahlend blau, eine fröhliche Frühlingsverspottung meiner trübsinnigen Stimmung. So sehr ich mich auch bemühte, ich konnte das Gefühl nicht abschütteln, dass direkt hinter dem Horizont etwas Schreckliches lauerte. Ich beschloss, meine bösen Vorahnungen dem Doktor gegenüber nicht zu erwähnen; er würde sie mit einem Lachen abtun, dem ein Vortrag über Aberglauben als Nachhall unserer primitiven Vergangenheit folgen würde, als Vorgefühle wirksame Reaktionen auf eine von räuberischen Lebewesen bevölkerte Umgebung waren, die uns nur zu gerne den Gefallen erwiesen, unsere Ahnungen wahr werden zu lassen.
Ich schlurfte nach unten in die Küche und nahm benommen wahr, dass die Kellertür angelehnt und das Licht unten an war. Ich stellte das Teewasser auf und lehnte mich gegen die Arbeitsfläche, während ich mit den Zwillingsdämonen extremer körperlicher und geistiger Müdigkeit rang. Mögen mir jene einfühlsamen Seelen vergeben, die einmal einen gleichlaufenden Pfad beschritten haben und sich vielleicht noch daran erinnern, wie ihnen die eigenen Gedanken fremd und ihre Körper requiriert vorkamen. Sie werden es verstehen, wie das energische Klopfen an der Tür zuerst meiner
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