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Der Monstrumologe - Der Monstrumologe - The Monstrumologist

Der Monstrumologe - Der Monstrumologe - The Monstrumologist

Titel: Der Monstrumologe - Der Monstrumologe - The Monstrumologist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rick Yancey
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unseren hypothetischen Mäuserich kam mir Proteus anguinus in den Sinn.«
    »Nein, Sir, Proteus hatten Sie erwähnt«, rief ich ihm ins Gedächtnis.
    Er schüttelte ungeduldig den Kopf, frustriert von meiner Begriffsstutzigkeit. » Proteus anguinus , Will Henry, eine Spezies blinder Amphibien, die man in den Karpaten findet. Und dabei musste ich natürlich an Galton und die Materie der Eugenik denken.«
    »Natürlich, Sir«, sagte ich, obwohl ich natürlich keine Ahnung hatte, wo im dichten Gestrüpp seiner Gedanken ich mich befand: Ich hatte noch nie von Proteus anguinus oder Galton oder Eugenik gehört.
    »Faszinierende Geschöpfe«, sagte der Monstrumologe. »Und exzellente Beispiele natürlicher Selektion. Sie leben tief in lichtlosen Berghöhlen, dennoch haben sie rudimentäre Augen bewahrt. Galton hat die ersten Exemplare von seiner Expedition nach Adelsberg in sein Vaterland England mit zurückgebracht. Er war ein Freund meines Vaters – und Darwins, natürlich. Vater war ein begeisterter Anhänger seiner Arbeit, insbesondere auf dem Gebiet der Eugenik. In der Bibliothek steht ein signiertes Exemplar von Genie und Vererbung .«
    »Tatsächlich?«, murmelte ich mechanisch.
    »Ich weiß, dass sie in regelmäßigem Briefwechsel standen, wenngleich es so aussieht, als habe er, wie bei seinen Tagebüchern und praktisch jedem Brief, den er in seinem Leben bekommen hat, die Beweise dafür vernichtet.«
    Praktisch jedem Brief. Ich dachte an das Bündel der Briefchen an den Vater vom Sohn, ungeöffnete Sendschreiben verblasster Tinte auf vergilbtem Pergament auf dem Boden eines alten, vergessenen Schrankkoffers. Ich wünschte, du würdest mir schreiben .
    »Als ich 83 aus Prag zurückkehrte, um ihn zu beerdigen, war nur wenig außer seinen Büchern übrig. Nur sein Schrankkoffer und einige Notizen über verschiedene Spezies, die von besonderem Interesse für ihn gewesen waren, Notizen, von denen ich annehme, dass er es nicht übers Herz gebracht hat, sie zu vernichten. Er hat nahezu alles an persönlicher Habe ausrangiert oder zerstört, bis hin zum letzten Strumpf und Schürsenkel, und wäre auch mit dem alten Koffer so verfahren, da bin ich mir sicher, wenn er sich daran erinnert hätte, dass er ihn unter der Treppe verstaut hatte. Es ist, als hätte er in den zu Ende gehenden Tagen seines Lebens versucht, sämtliche Spuren davon auszulöschen. Damals schrieb ich das jenem morbiden Ekel vor sich selbst zu, dem er in seinen späteren Jahren zum Opfer gefallen war, dieser quälenden Mischung aus unerklärlichen Gewissensbissen und religiöser Inbrunst. Damit kehrte sein Leben zum Ausgangspunkt zurück, wenn man so will: Er wurde eines Morgens von der Haushälterin in seinem Bett gefunden, nicht zugedeckt, in Kindslage zusammengerollt und völlig nackt.«
    Der Doktor seufzte. »Die Informationen bestürzten mich.Ich hatte keine Ahnung, wie tief er gefallen war.« Er schloss kurz die Augen. »In der Blüte seiner Jahre war er ein sehr würdevoller Mann, Will Henry, der so viel Wert auf sein Äußeres legte, dass es schon an Eitelkeit grenzte. Der Gedanke, dass er sein Leben auf so erniedrigende Weise beendet haben sollte, war unvorstellbar. Unvorstellbar jedenfalls für mich.«
    Er verstummte und starrte an die Decke, und mir fiel Hezekiah Varner wieder ein, der keine Wahl in dieser Sache gehabt hatte. »Aber er war gefangen im Bernstein meiner Erinnerung; es war fast zehn Jahre her, seit ich ihn zum letzten Mal gesehen hatte, und dieser Alistair Warthrop war ein anderer Mensch, nicht die bloße Hülle eines Menschen, die vor fünf Jahren gefunden wurde.«
    Warthrop schüttelte sich, um sich von seinen schwermütigen Träumereien zu lösen. Er rollte sich auf die Seite, sodass er meinem Sessel das Gesicht zuwandte, und stützte den Kopf auf dem Handteller ab. Seine dunklen Augen glitzerten im Lampenlicht.
    »Bin wieder vom Kurs abgekommen, stimmt’s, Will Henry? Irgendwann musst du Genie und Vererbung einmal lesen. Nach Die Entstehung der Arten , aber vor Die Abstammung des Menschen, denn das ist thematisch wie auch chronologisch sein Platz. Sein Einfluss lässt sich durch die ganze Abstammung hindurch erkennen. Der Gedanke, dass sowohl geistige als auch körperliche Charakteristika an die Nachkommenschaft eines Organismus weitergegeben werden, ist revolutionär. Vater erkannte das sofort und schrieb mir sogar einmal davon. Einer der wenigen Briefe, die er jemals geschickt hat; irgendwo habe ich ihn noch. Galton hatte

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