Der Monstrumologe und der Fluch des Wendigo
Gravois’ Pistolemit dem Perlengriff in die Hand. Er nickte in die Dunkelheit unter uns. »Du behältst die Lampe, Will. Ich dürfte hier oben genug Licht haben.«
Und so stieg ich hinab, bis ganz nach unten, allein.
Die Treppe wurde schmäler. Die schwärenden Wände arbeiteten sich näher heran. Ein Gestank stieg nach oben und empfing mich, der Gestank von ungeklärtem Abwasser. Ein Rohr war gebrochen und nie repariert worden, wodurch der Keller des Mietshauses sich in eine Jauchegrube verwandelt hatte. Der Gestank überwältigte mich fast. Auf halber Strecke nach unten fing ich an zu würgen; mein Hals brannte, und es drehte mir den Magen um. Ich hörte jetzt überhaupt nichts mehr, und das machte mir Mut, denn es musste bedeuten, dass er nicht hier unten war, aber ich wusste, dass ich nachsehen musste, um sicherzugehen.
Das Wasser am Boden war mehr als zwei Fuß tief und von einem grünlich gelben Schleim bedeckt. Zerbrochene Bretter – die Überreste von Vorratsfässern – schwammen in dem stehenden, stinkenden Tümpel. In der Nähe meiner Füße sah ich den Kadaver einer riesigen Ratte treiben; die Haut an ihrem aufgedunsenen Körper löste sich ab, als sei sie verfault; etwas hatte bereits ihre Augen verschlungen. In ihrem Maul, das in stummem Heulen aufklaffte, konnte ich die gelben Nagezähne schimmern sehen.
Auf der letzten Stufe blieb ich stehen, am Ufer dieses übel riechenden unterirdischen Weihers, und hielt mein Licht hoch, aber es konnte nicht die ganze Dunkelheit zurückdrängen. Das andere Ende blieb von stygischem Schatten geschluckt. Was tanzte da direkt am Rande des Lichts auf und ab? Ein Stück abgebrochenes Holz? Eine alte Flasche? Die schaumbedeckte Oberfläche wogte; die Bretter schaukelten in dem stinkenden schwarzen Wasser. Ich hörte nichts außer dem gleichmäßigen Tropfen des lecken Rohrs.
Ich wandte mich zum Gehen – offensichtlich war nichts hierunten –, und eine Stimme in meinem Kopf meldete sich zu Wort. Es war die Stimme meines Herrn.
Pass auf, Will Henry! Was fällt dir am Wasser auf?
Ich zögerte. Ich musste hier raus. Ich konnte nicht atmen in diesem widerlichen Loch. Chanler war nicht hier. Das Baby war nicht hier. Dobrogeanu brauchte mich.
Und dennoch blieb die Stimme hartnäckig: Das Wasser, Will Henry, das Wasser.
Halt die Klappe mit deinem Wasser! , schrie ich die Stimme schweigend an. Ich muss Dr. Dobrogeanu finden …
Etwa sechs Fuß über dem Tümpel erstarrte ich. Ich drehte mich um. Die leeren Augenhöhlen der Ratte erwiderten mein Starren.
»Das Wasser bewegt sich«, sagte ich zu der toten Ratte. »Wieso sollte es sich bewegen?«
Die Stimme in meinem Kopf verstummte. Endlich benutzte ich jenes unentbehrliche Anhängsel zwischen meinen Ohren.
Heiße Tränen brannten mir in den Augen, teils vom Gestank, aber hauptsächlich vom Begreifen. Ich wusste, wieso sich das Wasser bewegte. Und ich wusste, weshalb ich kein Weinen hörte.
Die Lampe erzeugte eine vollkommene Lichtkugel um mich herum. Ich watete in das Abwasser, und meine Füße rutschten über den schleimigen Backsteinboden. Ich spürte, wie das dreckige Wasser langsam in meine Stiefel eindrang. Die tote Ratte stupste mit ihrer langen Schnauze mein Knie an, als ich vorbeikam.
Es war keine Flasche oder ein altes Brett, das ich in der Kotsuppe hatte schwimmen sehen. Als ich danach griff, rutschte ich aus und fiel mit einem leisen Schrei um. Ich fing mich ab, indem ich den Revolver fallen ließ und mich mit der rechten Hand vom Boden abdrückte. Dadurch war es mir möglich, mit der Linken die Lampe hochzuhalten. Ihr Licht spielte auf dem nach oben gerichteten Gesicht, das einen Fuß weiter weg auf dem Wasser trieb; das war alles, was ich sehen konnte – dasGesicht des Babys. Der Rest war unter dem senfgelben Schaum verborgen. Ich drückte mich hoch. Jetzt kniete ich davor – hustend, würgend, schluchzend. Es kümmerte mich nicht mehr, ob die Bestie mich hörte. Alles, was ich sehen konnte, war dieses Gesicht, verschmiert mit gallertartigen Fäkalien, dessen leere Augen blind in die Unergründlichkeit über uns starrten.
Ich konnte es nicht dort lassen, nicht an diesem Ort. Ich streckte die Hand danach aus.
Meine Knöchel streiften die Wange. Das Gesicht tauchte unter, tauchte wieder auf. Es drehte sich gemächlich wie ein losgemachtes Boot.
Da wusste ich es. Ich hatte den Säugling gefunden, aber nicht alles von ihm. Ich hatte nur sein Gesicht gefunden.
»Oh nein«, wimmerte ich, wie
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