Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Monstrumologe und der Fluch des Wendigo

Der Monstrumologe und der Fluch des Wendigo

Titel: Der Monstrumologe und der Fluch des Wendigo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rick Yancey
Vom Netzwerk:
Feststellung. Er steckte die Waffe weg.
    »Das restliche Gebäude auch?«
    Er schüttelte den Kopf und drehte sich um. Er tippte mir auf die Schulter und zeigte auf eine Lampe, die auf dem Tisch stand. Ich begriff sofort. Nachdem ich die Lampe angezündet hatte, sagte er: »Wir werden das Gebäude durchsuchen müssen. An jede Tür klopfen, von oben bis unten … Entweder haben sie sich in dieses widerliche Wetter geflüchtet – und dafür fiele mir nur ein Grund ein –, oder sie kauern sich voller Entsetzen in ihren Bruchbuden zusammen. Es gibt nur einen Weg, das herauszufinden, Will!«
    Wir verließen die Wohnung. Sofort suchte ich nach dem Baby, aber es war fort. Die Bedeutsamkeit dieser Tatsache entging Dobrogeanu nicht. »Irgendjemand ist jedenfalls hier«, sagte er. Er drehte sich zur Feuertreppe um und hielt den Atem an. »Dreckiger Feigling!«, knurrte er leise.
    Wie das Kind im Korridor war auch Gravois verschwunden.
    Dobrogeanu stieß die Tür zur Feuertreppe auf und trat ins Freie. Er lehnte sich über das wacklige Geländer und warf einen Blick in den Hof.
    »Zwecklos«, brummte er. »Völlig zwecklos!« Frustriert schüttelte er den Kopf. »Was tun?«, murmelte er. »Was tun?«
    Von der Treppe im Korridor kam ein schallendes Krachen. Gleich darauf hörten wir das schwere Bum-bum-bum eines großen Gegenstands, der die hölzernen Stufen hinunterstürzte. Dobrogeanu riss den Revolver aus der Tasche und eilte, so schnell ihn seine alten Beine tragen wollten, zum oberen Absatz der Treppe hin. Ich folgte ihm mit ein paar Schritten Abstand, und mein Herzschlag dröhnte mir in den Ohren wie ein mitfühlendes Echo jenes ungesehenen Sturzes. Unser Licht kämpfte gegen die Dunkelheit an, schaffte es aber nicht, weiter als ein paar Schritte in die tiefe Düsternis einzudringen. Dobrogeanu legte mir die Hand auf die Schulter.
    »Bleib hier!«, raunte er mir zu. Er nahm mir die Lampe aus der Hand und ging weiter nach unten zum Absatz im zweiten Stock. Er bog um die Ecke, den Revolver vor sich haltend, sein Schatten scharf umrissen, als sei er in die Dielen eingekratzt, und dann verlor ich ihn aus den Augen. Der Schein der Lampe verblasste.
    »Oh nein!« Seine geisterhafte Stimme schwebte zu mir hoch. »Oh nein !«
    Ich folgte dem Licht nach unten. Ich entdeckte Dobrogeanu auf halbem Wege zum nächsten Absatz, wo er, mit dem Rücken an die Wand gepresst, den leblosen, zerstörten Körper Damien Gravois’ in den Armen wiegte, dessen weiße Hemdbrust von frischem arteriellen Blut glänzte und dessen sanguinisches Gesicht von denselben beschmutzten Windeln verhüllt wurde,in die das Baby im Korridor eingewickelt gewesen war. Seine Augen waren aus ihren Höhlen gezogen worden; sie baumelten, noch an den Sehnerven hängend, über seinen Wangen.
    »Ich habe ihn gefunden«, sagte Dobrogeanu. Es war eine absurd offensichtliche Feststellung.
    Er ließ die Leiche behutsam auf die Treppe hinunter und stand mühsam auf, indem er die Wand hinter sich zum Abstützen benutzte. Ich nahm die Lampe von der Stufe.
    »Was machen wir jetzt?«, flüsterte ich, aber meine Stimme schien schrecklich laut zu sein.
    »Das, wozu wir ausgebildet wurden«, antwortete er grimmig und wiederholte damit Torrances Worte. In seinen grauen Augen sprühte Feuer. Er brüllte die Treppe hinunter: » Chanler! «, und dann startete er und jagte mit der Geschwindigkeit eines halb so alten Mannes die Stufen hinunter. Ich holte ihn auf dem Erdgeschossabsatz ein, wo er stehen geblieben war und lauschte.
    »Hörst du das?«, fragte er.
    Ich schüttelte den Kopf. Ich hörte nichts außer dem Geräusch unseres stoßweisen Atems und dem fernen Tropfen eines Wasserrohrs. Und dann hörte ich es doch, das leise, klagende Weinen eines Säuglings. Es schien von überall zu kommen – und nirgends.
    »Er hat das Kind mitgenommen«, flüsterte Dobrogeanu. Er schaute angestrengt die Stufen hinunter, die zum Keller führten. Er befeuchtete sich nervös die Lippen. Er schien hin und her gerissen zu sein. »Was meinst du? Nach unten?«
    Uns blieben nur Augenblicke, um einen Entschluss zu fassen. Wenn es der falsche war – wenn er es stattdessen ins Erdgeschoss mitgenommen hatte und wir den andern Weg wählten –, war das Kind verloren. Mein Gefährte, mit all seinen Jahren der Erfahrung, schien vor Unentschlossenheit gelähmt.
    »Wir werden uns aufteilen müssen«, sagte ich. Er antwortete nicht. »Sir, hören Sie?«
    »Ja, ja«, murmelte er. »Hier.« Er drückte mir

Weitere Kostenlose Bücher