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Der Monstrumologe und der Fluch des Wendigo

Der Monstrumologe und der Fluch des Wendigo

Titel: Der Monstrumologe und der Fluch des Wendigo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rick Yancey
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einfachsten Worte stammelte die Zunge mühsam, als sei der denkende Teil ihres Gehirns vom Nichtgebrauch atrophiert.
    »Wie lautet unser Name?«
    »Sie sind … Sie sind Dr. Chanler.«
    » Wie … lautet … unser … Name? «
    Meine Beine zuckten unkontrolliert. Jeden Moment würde meine Blase nachgeben. Meine Gedärme würden sich entleeren.
    »Ich weiß es nicht … Ich weiß Ihren Namen nicht.«
    » Gudsnuth nesht … So ist’s brav.«
    Etwas sehr Kaltes und sehr Spitzes drückte sich in das weiche Fleisch unter meinem Ohr. Ich spürte, wie die Haut aufplatzte,und fühlte die Wärme meines Bluts, als es über den Rand der Wunde quoll.
    »Es wird nicht viel wehtun«, schluchzte das Wesen. »Nicht sehr vi-hiel. Aber das Blut; es wird viel Blu-duh ge-he-ben … Wir haben uns für die Augen in-in-terreschiert …« Es hielt inne und schluckte nach Luft. Reden strengte es an. Ein verhungerndes Tier hat keine Energie zu verschwenden.
    »Du lerns, um Wi-hissenscha-hafler zu we-herden, Will. Wills du ein wi-hischenscha-haflisches Experiment durschfüh-he-ren? Hier ist unsehere Idee. Wir we-herden dir die Augen herausziehn und sie rumdrehen, sodass du dich selbst anbli-hicken kanns. Wir sehen uns nie so, wie wir wirklich sind, oder, Will? Der Spiegel belügt uns.«
    Sein Arm war wie ein eiserner Riegel über meiner Brust. Meine Augen hatten sich ans Licht gewöhnt, und jetzt konnte ich seine spindeldürren nackten Beine sehen, die zu beiden Seiten von mir gespreizt waren. Die Haut war tiefschwarz, so schwarz wie Holzkohle, und löste sich in dünnen, sich ringelnden Lagen ab.
    »Stre-heck die Hand aus.«
    »Bitte!« Ich fing an zu schluchzen. »Bitte!«
    Ich streckte die Hand aus. Sein Geschenk an mich war klein – es passte perfekt in meine Handfläche –, ungefähr so groß wie eine Pflaume, die Oberfläche gummiartig und leicht klebrig.
    »Dasch is deins …«
    Mein Körper krümmte sich vor Abscheu – es war das Herz des Babys, das ich im Korridor des Mietshauses zurückgelassen hatte. Mit einem erstickten Schrei schleuderte ich es fort.
    »Wider … widerwähä … widerwätes Kind. Ungehaten.«
    Es drückte seinen sabbernden Mund auf mein Ohr. » Was haben wir gegeben? « Sein Arm legte sich fester um meine Brust und presste mir die Lunge zusammen; ich konnte nicht atmen. » Was haben wir gegeben? «
    Ich konnte nicht sprechen. Ich hatte keine Luft, mit der ich hätte sprechen können. Ich konnte nichts tun, außer mit dem Kopf einen Zoll weit von Seite zu Seite zu wackeln.
    »Was … wasch isch …« Es schien ebenso viel Mühe zu atmen zu haben wie ich. »Wasch isch die gröschte Liebe? Wie schieht schie ausch?«
    Der Arm lockerte sich ein wenig. Ich schlang Luft hinunter, würgte den Verwesungsgestank der Bestie hinab. Mein Kopf baumelte schlaff nach vorn. Die Bestie riss ihn an einer Faustvoll meiner Haare zurück; ihre scharfen, ausgezackten Nägel schnitten in meine Kopfhaut.
    »Willscht du ihr Geschicht schehen, Will? Dann schieh uns an. Schieh uns an! «
    Sie grub ihre Klaue in meine Haut und drehte mein Gesicht herum, bis mein Hals knackte. Die Nähe ihres Gesichts verzerrte meine Perspektive; es dauerte einen Moment, bevor mein Verstand aufnehmen konnte, was ich sah. Ich nahm sie in zersplitterten, stroboskopischen Bildern wahr. Das erste Bild war das der riesigen Augen, die kränklich bernsteinfarben glühten, dann der geifernde Mund, das blutbefleckte Kinn. Am bemerkenswertesten war die Ebenheit ihrer Gesichtszüge, als wären sämtliche darunterliegenden Knochen in den Kopf zurückgewichen. Es war das Fehlen von Konturen, das mich zuerst daran hinderte, es zu erkennen; so viel von unserem Aussehen wird von unseren Knochen bestimmt.
    Aber ich hatte dieses Gesicht viele Male gesehen – in der sanften Liebkosung eines Feuerscheins, im kalten Winterlicht eines Novembernachmittags, in der schimmernden Helle eines Kronleuchters in einem Ballsaal, wo sie mit mir getanzt hatte, die smaragdgrünen Augen – die jetzt unmenschlich orange glommen –, voller Verheißung, überquellend von Überfluss.
    Die Bestie hatte sich ihr Gesicht genommen. Auf der Spitze des dampfenden Haufens menschlichen und tierischen Wrackguts hatte sie es ihr abgeschält und irgendwie über den dezimierten Resten ihres eigenen befestigt.
    »Schiescht unsch, Will? Diesch isch das Geschischt der Liebe.«
    Ich zerrte den Kopf aus ihrem Griff; ihre Nägel rissen mir das weiche Fleisch unterm Kinn auf. Ich hörte sie mein Blut von ihren

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