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Der Monstrumologe und der Fluch des Wendigo

Der Monstrumologe und der Fluch des Wendigo

Titel: Der Monstrumologe und der Fluch des Wendigo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rick Yancey
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gekonnten Ruderschlag aufzuholen schienen; ihre Boote durchschnitten das Wasser mit der Geschwindigkeit von Rennläufern, gespensterhaft im dichten Morgennebel. Der Doktor zog den Revolver aus der Tasche seines Mantels und warf ihn mir in den Schoß, mit der Ermahnung, dass, sollte ich gezwungen sein,mich zu verteidigen, ich mir alle Mühe geben sollte, ihm nicht in den Kopf zu schießen.
    »Wir schaffen es nicht«, keuchte Hawk nach ein paar hektischen Minuten. »Lassen Sie uns hier umkehren und ihnen entgegenstellen!«
    »Das würde ich lieber auf einem festeren Untergrund machen, Sergeant«, erwiderte der Doktor, während er nach Luft schnappte.
    »Sie werden nicht wagen, mir etwas zu tun. Ich bin Polizeibeamter, ein ordnungsgemäß ernannter Vertreter der Provinz! Das ganze Dorf würde hängen!«
    »Ja, ich bin sicher, das werden Sie ihnen darlegen, unmittelbar bevor sie Ihre kugeldurchsiebte Leiche auf dem Grund des Sees versenken!«
    Der Nebel wirbelte um uns herum auf, ein graues Leichenhemd, das sich über die Welt legte und die Kanus in unserem Kielwasser auslöschte. Links von uns war die aufgehende Sonne vom blassesten der verblassten Gelb. Ohne Bezugspunkt war es unmöglich zu sagen, wie schnell wir fuhren oder wie weit wir es noch hatten. Der Eindruck war, gelinde gesagt, zermürbend – schlimmer als die Hölle, denn selbst die Seelen in Charons Boot konnten das andere Ufer sehen!
    »Bitte senke den Lauf dieses Revolvers, Will Henry«, forderte der Doktor mich auf. Er war direkt auf seine Brust gerichtet. »Und versuche, nicht zu vergessen, dass, wenn wir sie nicht sehen können, sie uns auch nicht sehen können. In dieser Suppe sind sie genauso blind wie wir.«
    »Nein, ich bin ein bisschen blinder, Doktor«, schnaufte Hawk. » Die wissen, was Sie im Schilde führen.«
    Warthrop erwiderte darauf nichts. Sein Blick blieb über meiner Schulter fixiert, als könnte er vermöge der Intensität seines Starrens den Nebel teilen und sein Ziel sichten.
    Schließlich erreichten wir dieses Ziel – wobei wir nicht einfach mit dem Ufer in Berührung kamen, sondern mit so viel Gewalthineinkrachten, dass ich rücklings über den Kanurand ins flache Wasser flog. Warthrop zerrte mich auf die Füße und schleuderte meinen klatschnassen Körper aufs schlammige Ufer. Hustend und spuckend setzte ich mich gerade rechtzeitig auf, um Hawk und den Doktor unsere bewusstlose Fracht aus dem Bauch des Bootes ziehen zu sehen. Sie trugen ihn einige Fuß in die Bäume, ehe sie ihn vorsichtig zu Boden ließen und kehrtmachten, um unsere Ausrüstung zu holen. In diesem Moment tauchten drei Kanus, die sechs bewaffnete Männer trugen, aus dem Nebel auf; die schwarzen Augen der Männer glitzerten bedrohlich unter ihren dunklen Brauen. Warthrop hob die Hand und Hawk das Gewehr.
    »Sagen Sie ihnen, dass wir nichts Böses im Sinn haben!«, wies der Doktor ihn an.
    Hawk stieß ein leises Lachen aus. »Ich mache mir mehr Sorgen darüber, was sie im Sinn haben, Doktor!« Dann sagte er etwas in ihrer Sprache. Der größte der sechs, ein junger Mann etwa in Hawks Alter, sprach ruhig und ohne Modulation und deutete auf Warthrop.
    »Er will, dass Sie zurückgeben, was Sie genommen haben«, sagte Hawk.
    »Sagen Sie ihm, dass ich mir nur nehme, was sie genommen haben.«
    Ihr Anführer sprach wieder, wobei sein Auftreten das äußersten Ernstes mit einer Spur von Herablassung war; offensichtlich begriff Warthrop die Folgen seines Tuns nicht.
    »Nun?«, blaffte der Doktor. »Was sagt er?«
    »Er sagt, wenn Sie darauf bestehen, ihn zu nehmen, müssen Sie ihn töten. Der Outiko ist bei ihm.«
    » Bei ihm?«
    »Oder in ihm, das bedeutet dasselbe.«
    »Wenn er ihn tot will, wird er mich töten müssen«, sagte Warthrop mit gefährlich blitzenden Augen. »Uns alle. Auch den Jungen. Ist er dazu bereit? Fragen Sie ihn!«
    Die Worte waren kaum aus Hawks Mund, als sechs Gewehrewie eins hochgerissen wurden. Automatisch hob ich den Revolver. Warthrop jedoch machte keine Bewegung mit seiner Waffe.
    »Ist nicht nötig, zu übersetzen, Hawk«, sagte der Doktor.
    »Er gehört jetzt Outiko «, sagte der indianische Krieger auf Englisch. »Wir nehmen ihn.«
    »Guter Gott, wie viel von diesem abergläubischen Firlefanz muss ich noch ertragen?«, rief Warthrop. Er schleuderte seine Büchse auf den Boden, schnappte sich meinen Revolver und warf ihn zu den Bäumen hin. Dann, bevor Hawk reagieren konnte, riss er ihm das Gewehr aus der Hand und warf auch das auf den Boden.

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