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Der Monstrumologe Und Die Insel Des Blutes

Der Monstrumologe Und Die Insel Des Blutes

Titel: Der Monstrumologe Und Die Insel Des Blutes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rick Yancey
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an seine stille Verzweiflung am Strand von Dover. Das ausgesprochen Seltsame und Ironische daran ist, dass ich dich zurückgelassen habe, damit du nicht mit ihnen auf einer Scheibe leben musst. Wenn ich gestand, würde es keine Absolution geben; ich würde immer noch nasu sein.
    Und er ebenso. Er würde durch meine Berührung unreingemacht. Mein »Erfolg« am Turm des Schweigens wäre sein Scheitern, die Erfüllung seiner tiefsten Ängste. Er würde ohne jeden Zweifel wissen, dass er mich dadurch, dass ich ihn gerettet hatte, für immer verloren hatte.

Vierunddreißig
    »Manchmal sollte man die besten Geschichten lieber nicht erzählen«

    Kapitän Julius Russell, Eigentümer des Frachtklippers Dagmar , war ein hochgewachsener, rotgesichtiger, einäugiger Auswanderer, ein ehemaliger Offizier bei der britischen Kavallerie, der im Anschluss an den zweiten Afghanistanfeldzug aus der Armee ausgeschieden war. 1884 war er nach Aden gekommen, um sein Glück im Kaffeehandel zu machen, und hatte seine Ersparnisse in einen ausgemusterten Paketdampfer gesteckt, der zu seiner Zeit das schnellste Schiff seiner Klasse in der britischen Flotte gewesen war. Russell hatte jedoch Schwierigkeiten gehabt, Verträge zu finden – die meisten Kaffeeexporteure benutzten ihre eigenen Schiffe, um ihre Ware nach Europa zu transportieren –, und seine Hoffnungen, sie zu unterbieten, indem er direkt von den Pflanzern kaufte und damit die Zwischenhändler umging, waren durch die Beinahemonopolstellungen von Gesellschaften wie die, für die Rimbaud für gewöhnlich in Aden arbeitete, zerstört worden.
    »Es ist die verdammte Hitze«, erzählte Russell meinem Herrn. »Sie schmilzt schlichtweg die Ehre aus einem Mann. Die Zollbeamten sind so korrupt, dass sie die eigene Mutter für ein Sixpencestück und eine Flasche Araq verkaufen würden.«
    Bankrott und verzweifelt, wandte sich Russell dem Handel mit einem eindeutig lukrativeren Rohstoff zu – Diamanten. Zweimal im Monat segelte er die Dagmar die afrikanische Küste hinunter nach Sofala, wo er die Schmuggelware voneinem korrupten portugiesischen Beamten zur Beförderung an Zwischenhändler mit Sitz in Port Said entgegennahm. Die Diamanten wurden in Kaffeesäcken versteckt, weniger um die Zollbehörden an der Nase herumzuführen, sondern vielmehr um eine vernünftige Tarnung für die unvermeidlichen Überfälle somalischer und ägyptischer Piraten zu liefern, die sich längs des glitzernden Korridors zwischen Mosambik und dem Tor der Tränen, der Bab-el-Mandeb-Meerenge, herumtrieben, wo das Rote Meer auf den Golf von Aden trifft und wo der Poet in Arthur Rimbaud gestorben war.
    Wir trafen den Kapitän und seinen ersten Offizier, einen Somalier von gewaltigen Proportionen namens Awaale, im Speisesaal des Hotels zum Frühstück. Awaale fand sofort Gefallen an mir, seinem Landrattengegenstück.
    »Was bedeutet dein Name?« Er sprach ein perfektes Englisch.
    »Was er bedeutet?«
    »Ja. Ich bin Awaale; das bedeutet ›glücklich‹ in meiner Sprache. Was bedeutet dein Name?«
    »Ich wüsste nicht, dass er irgendwas bedeutet.«
    »Oh, alle Namen bedeuten irgendetwas. Warum haben deine Eltern dich William genannt?«
    »Ich habe sie nie danach gefragt.«
    »Aber jetzt wirst du es, denke ich.« Seine Augen tanzten, und er fing breit zu lächeln an.
    Ich sah weg. Der Doktor und Kapitän Russell waren in eine ziemlich hitzige Unterhaltung über die Beförderungsgebühr verstrickt, die Fortsetzung einer Auseinandersetzung, die den größten Teil von Warthrops Besuch am Tag zuvor in Anspruch genommen hatte. Russell wollte die gesamte Summe im Voraus, und der Doktor, so knauserig wie immer, war nur zur Hälfte bereit und wollte den Rest bei unserer wohlbehaltenen Rückkehr zahlen.
    »Was ist mit deinen Eltern passiert?«, fragte Awaale. Er hatte meine Reaktion richtig gedeutet.
    »Sie kamen bei einem Brand ums Leben«, antwortete ich.
    »Meine sind auch tot.« Er legte seine mächtige Hand auf meine. »Ich war noch ein Junge, so wie du. Du bist walaalo , kleiner Will. Bruder.«
    Er warf einen Blick auf Russell, dessen von Natur aus rosiges Antlitz inzwischen feuerrot brannte, und lächelte. »Weißt du, wie Kapitän Julius sein Auge verloren hat? Er fiel bei Kandahar vom Pferd, und als er auf dem Boden aufkam, löste sich ein Schuss aus seinem Gewehr. Er verpasste die gesamte Schlacht. Er erzählt den Leuten, dass er bei einem Angriff verwundet wurde, was wie viele Kriegsgeschichten zwar wahr ist, aber

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