Der Monstrumologe Und Die Insel Des Blutes
ihresKapitäns getuschelt hatten und, am allerverdammenswertesten, seine Weigerung, die unrechtmäßig erworbene Ausbeute ihrer Anstrengungen gerecht mit ihnen zu teilen.
»Er vertraut dir«, sagte der erste Offizier zu dem Jungen. »Er wird nichts von dem Messer ahnen, bis das Messer ins Ziel trifft!«
Awaale zögerte nicht. Er ergriff die mutmaßlichen Verschwörer und stellte sie zur Rede. Beide leugneten den Anschlag und bezichtigten ihren Ankläger, gegen sie zu intrigieren, um sich anzubiedern und seinen Anteil an der Beute zu vergrößern. Awaales Urteil war schnell und mitleidlos: Er tötete alle drei, Ankläger und Angeklagte, einschließlich des Jungen, den er liebte, obwohl er zugab, dass ihm das schwergefallen war – sehr schwergefallen. Dann enthauptete er sie eigenhändig und hängte ihre Köpfe an den Besanmast, um seine Mannschaft daran zu erinnern, dass er ihr Herr und Meister war.
»Das verstehe ich nicht«, sagte ich. »Wenn der erste Mann die Wahrheit sagte, wieso hast du ihn dann umgebracht? Er hat dich doch vor der Meuterei gewarnt!«
»Ich wusste ja nicht, ob er die Wahrheit sagte, walaalo . Ich wusste nicht, wem ich glauben konnte.«
»Dann hast du mindestens einen Unschuldigen getötet.«
»Ich hatte keine andere Wahl!«, rief er mit vor Verzweiflung brechender Stimme. »Hätte ich den oder die Falschen leben lassen, dann wäre ich gestorben! Das Blut Unschuldiger vergießen oder die Schuldigen mein eigenes vergießen lassen! Du kennst es nicht, walaalo . Du bist ein Junge. Du bist dem Gesichtslosen nie gegenübergetreten.«
»Dem Gesichtslosen?«
»Das ist mein Name dafür. Ich weinte, als ich den Dolch in sein Herz stieß; ich weinte bittere Tränen um den Jungen, den ich liebte, während sein Blut mir siedend heiß durch die Finger rann. Und weinend lachte ich mit einer wilden, unbändigen Freude! Ich lachte, weil ich von etwas befreit war; ich weinte, weil ich an etwas gebunden war. Ich war gerettet; ich war verdammt. Der Herr segne dich, walaalo , du hast dem Gesichtslosen nie gegenübertreten müssen; du kennst es nicht.«
Frei und versklavt, blieb Awaale nach seiner unmöglichen Entscheidung nicht mehr lange Pirat. Er ließ sein Schiff in Daressalam zurück, dessen Name eine Verstümmelung des arabischen andar as-salām , »Hafen des Friedens« ist. Ohne Geld und ohne Freunde in einem fremden Land wanderte er tief ins Innere Afrikas, bis er nach Bugunda kam, wo er von einer Gruppe anglikanischer Missionare aufgenommen wurde, die ihm beibrachten, Englisch zu lesen und zu schreiben, und jeden Tag für seine unsterbliche Seele beteten. Er betete mit ihnen, denn es schien ihm, als hätte er mit ihnen eine besondere Beziehung zu ihrem Gott gemeinsam.
»Das Vergießen unschuldigen Blutes ist nichts Neues für ihn – nein, nicht für ihn!«, sagte Awaale. »Er ließ es zu, dass sein eigener Sohn einen blutigen Tod starb, damit ich lebe, um ihn zu verehren. Dieser Gott, denke ich, versteht den Raum zwischen ›dürfen‹ und ›müssen‹ ; er hat das Gesicht des Gesichtslosen gesehen!«
Eine Zeit lang sagte ich nichts. Ich sah zu, wie die Sterne hin und her schaukelten, nach links und nach rechts und wieder zurück; ich lauschte dem Meer, das an den Bug des Klippers klatschte; ich spürte das Schlagen meines Herzens.
»Ich habe es auch gesehen«, sagte ich schließlich. »Ich kenne diesen Raum.« Er existierte zwischen Warthrop und Kendall im Schlafzimmer in der Harrington Lane, zwischen Torrance und Arkwright im Monstrumarium, zwischen Rurick und mir am Ort des Schweigens im Zentrum der Welt.
»Wo, walaalo ?« Er klang ungläubig. »Wo hast du es gesehen?«
»Es ist hier«, sagte ich und presste meine Hand auf meine Brust.
Fünfunddreißig
»Der Zorn eines barmherzigen Gottes«
Am vierten Tag färbte sich der Horizont vor uns schwarz, und die See schwoll an, getrieben von einem steifen Wind, der gegen die Dagmar drückte wie die Hand eines Riesen, die sich auf ihren Brustkorb legte. Kapitän Russell drehte das Schiff nach Süden, um den schlimmsten Sturm zu umgehen, eine Entscheidung, die dem Monstrumologen gar nicht gefiel, der mit den Zähnen knirschte und an seiner Unterlippe zupfte und auf dem Vordeck auf und ab ging, während der Sturmwind ihn fast umwarf und seine Haare zu einem zyklonischen Durcheinander verwirbelte. Ich trotzte den Elementen, um ihn eindringlich zu bitten, doch hineinzugehen, denn ich war überzeugt, dass er jeden Moment von den heftigen Wellen,
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