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Der Monstrumologe Und Die Insel Des Blutes

Der Monstrumologe Und Die Insel Des Blutes

Titel: Der Monstrumologe Und Die Insel Des Blutes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rick Yancey
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die wütend über den Bug brachen, über Bord gespült werden würde.
    »Du weißt, was von Helrung sagen würde!«, überschrie er den peitschenden Wind und die tosende See. »Der Zorn eines barmherzigen Gottes! Nun, ich sage, soll er doch seine Zeichen und Wunder loslassen! Lass die Mächte des Himmels gegen mich aufmarschieren, und ich werde mit jeder Faser meines Wesens gegen sie kämpfen!«
    Das Deck erbebte heftig und bäumte sich dann plötzlich auf, sodass ich von den Füßen gerissen wurde. Die Hand des Monstrumologen schoss vor, packte meinen Arm und riss mich vom Rand zurück.
    »Du solltest nicht hier draußen sein!«, schrie er.
    »Sie aber auch nicht!«, brüllte ich zurück.
    »Ich werde niemals zum Rückzug blasen! Niemals!«
    Er schob mich nach achtern und kehrte mir den Rücken zu, stellte sich mit weit gespreizten Beinen hin, um das Gleichgewicht zu wahren, und breitete die Arme aus, als wollte er den ganzen Zorn Gottes auf sein Haupt laden. Ein Blitzschlag flammte auf, Donner ließ die Planken beben, und Warthrop lachte. Der Monstrumologe lachte, und sein Lachen überstach den Wind und den peitschenden Regen und den Donner selbst und zerstampfte den Mahlstrom unter seinen unbezwingbaren Fersen. Ist sie denn verwunderlich, die Macht, die dieser Mann über mich hatte – dieser Mann, der vor seinen Dämonen nicht davonrannte wie die meisten von uns, sondern sie als sein Eigen umarmte, sie an sein Herz drückte und mit einem Würgegriff festhielt. Er versuchte nicht, ihnen zu entkommen, indem er sie leugnete oder sie mit Drogen betäubte oder mit ihnen verhandelte. Er trat ihnen dort entgegen, wo sie lebten, an dem geheimen Ort, den die meisten von uns versteckt halten. Warthrop war Warthrop bis aufs Mark, denn seine Dämonen definierten ihn; sie bliesen ihm den Lebensodem ein; und ohne sie würde er untergehen, wie es die meisten von uns tun in jenem purgatorischen Nebel eines unverwirklichten Lebens.
    Man mag ihn verrückt nennen. Man mag ihn als eitel und selbstsüchtig und arrogant und jeder normalen menschlichen Empfindung beraubt verurteilen. Man mag ihn zur Gänze abtun als einen Narren, der von seinem eigenen Ehrgeiz und Stolz geblendet war. Aber man kann nicht sagen, dass Pellinore Warthrop nicht vor allem vollends vollkommen lebendig war.
    * * *
    Ich zog mich in die Sicherheit der Brücke zurück, von wo aus ich ihn wenigstens im Auge behalten konnte, auch wenn das Wasser, das gegen das Glas spritzte und daran herabströmte, mir die Sicht trübte und aus ihm einen wahnsinnig gewordenen, gespensterhaften Schatten machte, der sich vor dem helleren Grau der schaumgekrönten See abhob. Wie es der Zufall wollte, hatte Awaale das Ruder übernommen. Seine gewaltigen Arme krümmten und versteiften sich, als er gegen das Steuerrad ankämpfte.

»Was treibt er da?«, wunderte er sich. »Will er sich aufs Meer hinauswehen lassen?«
    »Er ist begierig«, antwortete ich.
    »Begierig wonach?«
    Ich sagte nichts. Dem Gesichtslosen gegenüberzutreten , hätte ich antworten können, sagte aber nichts.
    * * *
    Der Sturm jagte uns bis lange nach Anbruch der Dunkelheit und zwang die Dagmar, Meilen vom Kurs abzuweichen, bis sie weit südlich der Insel war, wodurch er sie direkt in den Weg der Monsunwinde trieb, die vom Norden herunterbliesen. Als das Wetter aufklarte, plante Russell einen Steuerkurs, um uns zurück in den Westen Sokotras zu bringen; es war, so teilte er dem Doktor mit, der einzige vernünftige Kurs.
    »Wir können uns nicht von Süden nähern, nicht mit Winden wie diesen«, sagte er.
    »Das würde uns mindestens einen Tag kosten!«, entgegnete der Monstrumologe mit vor kaum unterdrücktem Ärger verkniffener Miene heftig.
    »Noch mehr«, erwiderte Russell grimmig.
    »Wie viel mehr?«
    »Zwei Tage, zweieinhalb.«
    Warthrop donnerte mit der Faust auf den Tisch. »Unzumutbar!«
    »Nein, Dr. Warthrop, unvermeidbar . Ich habe es Ihnen schon in Aden versucht zu sagen. Niemand fährt zu dieser Jahreszeit nach Soko…«
    »Wieso in Gottes Namen haben Sie dann zugestimmt?«, knurrte der Doktor wütend.
    Russell bemühte seine ganze englische Seelenstärke und sagte auf die ruhigste Manier, derer er fähig war: »Von Westen zu kommen ist unsere einzige Hoffnung, Sie so nahe heranzubringen, dass Sie an Land gehen können. Uns gegen diesen Wind den Weg nach Norden zu erzwingen könnte unter Umständen bloß genauso lang dauern und das doppelte Risiko beinhalten.«
    Warthrop atmete tief durch, um sich zu

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