Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Monstrumologe Und Die Insel Des Blutes

Der Monstrumologe Und Die Insel Des Blutes

Titel: Der Monstrumologe Und Die Insel Des Blutes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rick Yancey
Vom Netzwerk:
langer Zeit, über das ich in einem dreckigen Mietskasernenflur hinweggeschritten war, das ich im Stich gelassen hatte, als es in meiner Macht gestanden hatte, es zu retten, das ich später in einem überfluteten Keller wiedergefunden hatte, wo es in Stücken in ungeklärtem Abwasser schwamm. Du bist meine Erlösung, der Schlüssel zum Gefängnis meiner Sünde , hatte Awaale gesagt. Indem ich dich rette, werde ich mich selbst vor dem Gericht bewahren . Damals, das gebe ich gerne zu, hatte ich eine ausgesprochen warthropsche Reaktion auf diese Worte. Ein unlogischer Schritt, dachte ich, von einer zufälligen Begegnung zu göttlicher Intervention. Aber ist nicht jeder Vertrauensvorschuss von Natur aus unlogisch? Kaufe die Zeit aus , hatten die Sterne zu mir herabgesungen. Ich dachte an ihr Lied, während ich das Gesicht des Kindes liebkoste.
    Kaufe die Zeit aus. Falls es so weit käme, beschloss ich, würde ich den Jungen hierlassen und versuchen, sie wegzulocken – ein Verlassen, das dieses Mal nicht verdammen, sondern erlösen würde, das nicht verurteilen, sondern erretten würde.
    Der Nordwind brachte ein Geräusch von den Gipfeln, ein hohes Kreischen, das ich nur mit dem eines Schweins im Schlachthaus vergleichen kann, ein durch Mark und Bein gehendes Quieken, das mir nicht menschlich vorkam, und einen entsetzlichen Moment lang war ich überzeugt, dass es nicht Typhoeus’ Kinder waren , die wegen Kearns’ »Köder« kamen, sondern Typhoeus selbst. Ich stellte mir vor, wie das Magnificum den Berg hinabstieg, das bleiche Fleisch glitzernd und mit gemein spitzen Stacheln überzogen, der mächtige Rachen, von dem glänzende Klümpchen Pwdre ser tropften, weit aufgesperrt, ein schwarzer Behemoth vom doppelten Umfang eines Mannes und derdreifachen Höhe und mit einem Gesicht, das absolut leer war, einem Gesicht, das kein Gesicht war, dem gesichtslosen Gesicht, das Pierre Lebroque in der Agonie vollkommener Erkenntnis den Ausruf entrissen hatte: » Nullité! Weiter ist es nichts! Nichts! Nichts! Nichts!«
    Dieser erste schrille Schrei wurde von einem anderen beantwortet und dann von noch einem anderen, jeder aus einer anderen Richtung, und sie kamen näher, die Rufe folgten schneller aufeinander, dauerten aber weniger lang, bis sie dem kurzen, hysterischen Kläffen von Hyänen auf der Jagd glichen. Dann, unvermittelt, nichts als der Wind. Es war schrecklich, hier zu sitzen und nicht zu wissen, was draußen vor sich ging. Nach allem, was ich wusste, hätten sie direkt draußen sein und auf irgendein Signal warten können, bevor sie lossprangen. Ich tastete den Boden ab nach einem Stein, einem Stock, irgendetwas, was ich als Waffe hätte benutzen können. Vor meinem geistigen Auge sah ich Mr Kendall die Treppe herunterspringen und seine schwarzen Augen mein Gesichtsfeld ausfüllen.
    Und dann hörte ich, ganz deutlich, ein Reißgeräusch und ein lautes Knirschen, so wie es sich anhört, wenn man ein Hühnerbein vom Rumpf abreißt. Etwas – nun, mehr als ein Etwas – schluchzte, ein schreckliches, schnüffelndes, schluckaufartiges Klagen – die Tränen der Verdammnis, die bittere Verzweiflung des Abgrunds, und ich wusste, dass sie sie fraßen, sie in Stücke rissen und sich die tropfenden Innereien in die Mäuler stopften, zornig mit den Zähnen knirschten und mit so erbittertem Hunger kauten, dass mehr als einer sich schon die eigene Zunge durchgebissen hatte. Und von seinem Bergthron blickte Typhoeus magnificum , der prächtige Vater, auf seine Kinder herab und lächelte.
    Kearns schrie von seinem Posten herunter und gab damit das erwartete Signal. Ich hörte nur sechs Schüsse, zwei aus Kearns’ Büchse, die übrigen aus Warthrops Revolver, aber ihre Echos huschten und sausten den Pass entlang und jagten einander bis auf den Grund. Als ein großer Schatten vor der Öffnung vorbeiflitzte, schrie ich leise auf, und dann erkannte ich, dass es Awaale war, der zum Schauplatz des Gemetzels rannte. Ich stand auf und ging nach draußen. Ich verspürte jetzt keine Furcht, nur die vertraute ekelerregende Neugier, zu sehen, was nicht gesehen werden sollte, was die meisten nicht würden sehen wollen , was ich aber sehen musste .
    Es waren sieben Leichen, wo zuvor nur eine gewesen war, eine über die andere drapiert in einem verwirrenden Durcheinander von Gliedmaßen. Ich musste über einen Bach aus Blut schreiten, der sich seinen gewundenen Weg über den Abhang nach unten suchte.
    »Sehr schöne Arbeit, Warthrop«, sagte

Weitere Kostenlose Bücher