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Der Monstrumologe Und Die Insel Des Blutes

Der Monstrumologe Und Die Insel Des Blutes

Titel: Der Monstrumologe Und Die Insel Des Blutes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rick Yancey
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potenziellen Überträgern zu schützen. Sie werden das Kind umbringen … und wahrscheinlich jeden, der es trägt.«
    Awaale versteifte sich und warf sich in die mächtige Brust. »Denken Sie, ich hätte Angst?«
    »Nein, ich denke, du bist dumm.«
    »Hoffnung ist nicht dumm. Vertrauen ist nicht dumm.«
    »Du hast Nächstenliebe ausgelassen«, sagte Kearns mit einem boshaften Grinsen.
    »Das reicht, Kearns«, sagte der Monstrumologe müde. »Ich bin mit Awaale einer Meinung. Es ist wahr: Das Kind ist vielleicht dem Tod geweiht. Es ist ebenfalls wahr, dass ohne Awaale wir vielleicht dem Tod geweiht sind. Aber die Alternative ist schlimmer. Es ist eigentlich gar keine Alternative.«
    Warthrop erhob sich. Er schien über uns aufzuragen, so groß und unüberwindlich wie die himmelhohen Gipfel, die unser Lager umgaben, ein Koloss, gemeißelt aus Fleisch und Blut, gegen den die mächtigen Knochen der Erde schwächlich wirkten.
    »Sie mögen vor langer Zeit über den Rand der Welt gefallen sein, John, aber für mich gilt das nicht. Noch nicht jedenfalls. Barmherzigkeit zu zeigen ist nicht naiv. Sich wider das Ende der Hoffnung zu behaupten ist nicht Dummheit oder Wahnsinn. Es ist fundamental menschlich. Natürlich ist das Kind dem Untergang geweiht. Wir alle sind dem Untergang geweiht; wir sind alle von Geburt an durch die Sternenfäule vergiftet. Das heißt nicht, dass wir wie Sie der verführerischen Irreführung der Verzweiflung erliegen sollten, der dunklen Strömung, die uns zu ertränken sucht. Sie halten mich vielleicht für dumm, Sie mögen mich einen Narren und einen Verrückten nennen, aber wenigstens stehe ich aufrecht in einer gefallenen Welt. Wenigstens bin ich noch nicht wie Sie vom Rand in den Abgrund gestürzt.
    Nun bringen Sie mich zu ihm, damit ich mit meinen Lippen kundtun kann, was ich mit meinen Augen gesehen habe. Die Zeit ist gekommen, die Zeit auszukaufen, also bringen Sie mich zu ihm, verdammt noch mal! Bringen Sie mich zum Magnificum !«

Einundvierzig
    »Der Engel des Todes«

    Nicht lange danach verließen Awaale und das Kind unsere Gesellschaft mit nichts weiter als einer Tagesration Essen und Munition fürs Gewehr. »Wenn du dich beeilst, schaffst du es vielleicht vor Anbruch der Nacht zu den Höhlen«, sagte Kearns ihm. Er zeichnete eine grobe Karte auf ein Stück Papier und reichte sie dem Somalier. »Aber falls die Nacht dich überrascht und du meinem Minotaur über den Weg läufst, dann denk dran, dass ich Theseus bin in diesem kleinen Drama und du … Tja, ich bin mir nicht sicher, wer du bist.«
    »Halten Sie die Klappe«, sagte Awaale.
    »Du bist ein toter Mann«, erwiderte Kearns fröhlich, »auf einem Metzgergang.«
    »Und Sie sind ein Metzger mit dem Herzen eines toten Mannes!«, versetzte Awaale. Er nahm mich beiseite und sagte: »Ich habe etwas für dich, walaalo .« Er zog sein langes Messer und drückte es mir in die Hand. »Ich werde dir nicht erzählen, dass es dir Glück bringen wird – es ist das Messer, das ich benutzt habe, um denjenigen zu opfern, den ich liebte –, aber wer weiß? Vielleicht wäschst du ja seine Klinge mit dem Blut der Bösen rein.« Er funkelte Kearns an. »Nein, nein, du musst es behalten! Ich kann nicht fortgehen, ohne dir ein Geschenk zu geben, walaalo . Bald werde ich dich in Gishub wiedersehen, deshalb werde ich nicht Lebewohl sagen!«
    Er drehte sich zu Warthrop um, der einfach sagte: »Versage nicht!«
    »Sie sind ein schwieriger Mensch, dhaktar Pellinore Warthrop. Schwierig zu verstehen und noch schwieriger zu mögen. Ich werde nicht versagen.«
    Er schulterte seine Büchse, nahm Warthrops Bürde entgegen – der Säugling sah unglaublich klein in seinen mächtigen Armen aus – und ging den Pfad hinunter. Wir beobachteten ihn, bis er um eine Biegung schritt und fort war.
    * * *
    Nach oben führte uns jetzt John Kearns, direkt zum Gipfel des Abgrunds, entlang von schattengefüllten Schluchten und schroffen Felswänden, wo jeder Griff heikel und jeder Schritt gefahrenbeladen war, um Halden zertrümmerter Steine herum und um tiefe Becken kristallenen Wassers, das den leeren Himmel widerspiegelte, entlang terrassenförmigen Felsvorsprüngen, die sich wie Balkone vorschoben und die Diksam-Hochebene überblickten, eine unbelebte, gesichtslose Landschaft zweitausend Fuß unter uns. Es war kalt, und die Luft senkte sich in unsere Lungen wie die scharfe Klinge von Awaales Messer.
    Am Vormittag kamen die Wolken, schluckten die Berggipfel, glitten

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