Der Mord an Harriet Krohn (German Edition)
Nackenstütze und denkt an früher. In seinem Leben ist immer irgend etwas schiefgegangen. Und das Gefühl, wenn er andere Menschen ansieht, daß die auf eine ganz andere Weise als er selbst mit der Erde verbunden sind, hat ihn immer verfolgt. Er hat immer das Gefühl gehabt, zu schweben, draußen zu sein, anders. Das, was eben passiert ist, war unvermeidlich. Diese Erkenntnis ist so schwer, er kommt sich vor wie ein Opfer von etwas, das er nicht versteht. Etwas, das mit dem Schicksal zu tun hat. Daß die Untat auf ihn gewartet hat, ihn eingefangen wie eine Figur in einem Spiel, das Gott oder der Teufel geplant haben, er weiß es nicht, er zittert. Er greift zu seinem Tabak und dreht sich eine Zigarette, gibt sich Feuer und zieht energisch daran. Dann wirft er den Motor an und fährt los. Das vorhin hat sie nicht überstanden, fällt ihm jetzt ein, ein so schmächtiger Mensch, dünn und zerbrechlich wie Gips. Kurz darauf kommt er am Bahnhof vorbei. Die Gedanken wirbeln durch seinen Kopf, aber sein Puls verlangsamt sich jetzt, denn er sieht niemanden, und hinter den Fenstern von Hamsund leuchten behagliche Lichter. Es schneit sanft und still. Die Leute sind mit anderen Dingen beschäftigt, und er ist auf dem Weg fort von ihnen. Plötzlich bemerkt er rechts einen Schatten, trotzdem fährt er weiter, vorsichtig auf dem glatten Boden, er hat Vorfahrt. Plötzlich ist der Schatten in schwindelerregender Nähe. Gleich darauf wird er von einer kräftigen Erschütterung getroffen, er hört das Geräusch von Metall, das gegen anderes Metall prallt, ein lauter Knall zerreißt die Stille. Er wird über das Lenkrad geschleudert und verspürt einen Stoß gegen die Brust. Dann ist alles vorbei und die Stille ist unwirklich. Verwirrt kneift er die Augen zusammen, schaut aus dem Fenster, sieht ein anderes Auto. Kalter Schrecken befällt ihn. Er erinnert sich an den Revolver, der auf dem Boden liegt, und das, was er eben getan hat, zum ersten Mal fällt es ihm ein. Er ist plötzlich hellwach, er ist aus seinem Gleis gesprungen, in ein Gestrüpp aus Angst und Panik. Ein junger Mann starrt ihn aus dem anderen Auto an, ein bleiches Gesicht mit ängstlichen Augen und abstehenden Ohren. Charlo verliert die Fassung. Ohne nachzudenken öffnet er die Tür und springt hinaus in den Schneematsch, läuft hinüber zu dem kleinen weißen Wagen und reißt die Tür auf. Sein Körper zittert furchterregend, er hat die Kontrolle verloren, er platzt wie ein Troll in der Sonne. Alles, was er mit sich herumschleppt, bricht in einem wilden, schrillen Strom aus ihm heraus. Der Junge sucht Schutz vor dem Sturm, dem gewaltigen Sturm aus Wörtern, er hält sich am Lenkrad fest, wartet darauf, daß alles vorübergeht, aber es geht nicht vorüber, denn in Charlo brechen alle Dämme, er schüttet seine Wut aus sich heraus.
»Ich habe die Papiere für eine Schadensmeldung dabei«, flüstert der Junge. Er streckt einen Arm zum Handschuhfach aus, die dünne Hand zittert. Charlo gerät beim Gedanken an eine Schadensmeldung in Panik. Papiere, die ausgefüllt werden müssen, eine Unterschrift, die er leisten muß. Auf diese Weise plaziert er sich selbst nach Hamsund an diesem schicksalhaften Abend, dem 7. November. Er weiß, daß er das nicht tun darf. Er stützt sich noch immer schwer gegen das Auto und schreit hinein. Seine Verwünschungen werden giftiger, sie strömen aus ihm heraus wie glühendheiße Lava. Er verstummt, um Luft zu holen. Er hatte sich für leer gehalten, aber es kommt noch mehr, es ist wie ein Erbrechen, er spürt es ganz tief unten im Bauch. Dann erstirbt seine Stimme und geht in schluchzendes Weinen über. Er weint um das, was er auf dem Boden hinterlassen hat, er weint um Julie, die ihn nicht sehen will. Dann ist er entsetzt über seine eigene Reaktion. Nur ein Verrückter führt sich so auf, denkt er voller Panik, und knallt wütend die Tür ins Schloß. Er rennt zurück zum Honda.
ER KANN DIE STERNE nicht sehen. Nur eine undurchdringliche Dunkelheit.
Aus der Dunkelheit fällt still der Schnee, das hier ist die letzte Nacht auf Erden, es wird nie wieder hell werden, am nächsten Morgen wird keine Sonne aufgehen. Denn er hat sich zu grausam verhalten. Er senkt den Kopf und ist verzweifelt. Er glaubt, wenn er ganz ehrlich sein soll, daß er träumt. Bald wird er aufwachen und erleichtert aufstöhnen, denn es war nur ein Alptraum. Er macht Licht im Wagen an, schaut an sich hinunter. Sein Parka ist blutverschmiert. Der Zusammenstoß mit dem
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