Der Mord an Harriet Krohn (German Edition)
Korn nicht mehr wahr, jetzt hat sie Blutgeschmack im Mund. Er hat die Tür abgeschlossen und ist zu ihr in die Küche gekommen. Er sieht sie an, schräg von der Seite. Sein Blick ist so gequält, denkt sie, so seltsam, und sie schwankt ein wenig, lehnt sich erschöpft gegen den Küchentisch, denn sie befürchtet ohnmächtig zu werden. Ihr Kopf ist glühendheiß und ihre Ohren rauschen. Verwirrt starrt sie den Zettel an, den sie unterschreiben soll. Der ist leer. Harriet wird übel.
Plötzlich würgt sie, und der Geschmack der Leberwurst vermischt sich mit dem der roten Beete und etwas anderem, Saurem. Ihre Wangen brennen, während die Farbe ihr Gesicht verläßt. Warum sagt er nichts, er starrt sie nur an, atemlos. Sie öffnet den Mund, um zu schreien, aber es kommt nur ein Wimmern heraus. Harriet ist wie gelähmt. Sie stellt keine Fragen, sie läßt sich nichts anmerken, sie macht sich an den Blumen zu schaffen. Wenn sie den Strauß auswickelt, dann wird die Zeit vergehen, dann werden ihre Hände etwas zu tun haben. Sie reißt fieberhaft am Papier, die ganze Zeit spürt sie seinen Blick, wenn er doch nur etwas sagen, erklären würde! Aber er steht nur da und schaut sie an, steht da wie eine stumme Bedrohung. Sie braucht eine Schere für den Bindfaden und weiß, daß die an einem Haken über der Anrichte hängt, eine Schere mit scharfer Klinge. Sie braucht mehrere Schritte vom Tisch aus, vor dem sie steht, aber sie reißt sich ungeheuer zusammen und geht zur Anrichte hinüber. Ihr wird klar, daß die Schere eine Waffe ist. Aber die Vorstellung, sie in einen lebendigen Körper zu rammen, ist für sie einfach unmöglich. Sie nimmt die Schere vom Haken und geht zurück zum Tisch. Es ist der siebte November, und es schneit, es ist nicht gefährlich, bald wird es vorbei sein. Sie hat Durst, ihr Mund ist wie ausgetrocknet, ihre Zunge kratzt am Gaumen. Sie schneidet den Bindfaden durch und fängt an, die Blumen auszuwickeln. Es ist ein großer, üppiger Strauß, so etwas hat sie noch nie gesehen, noch nie bekommen. Sie hat keine Kontrolle über ihre Hände, die wollen ihr einfach nicht gehorchen, die gichtgeplagten Finger ähneln entstellten Krallen, die Haut über den Fingerknöcheln ist glänzend und durchsichtig. Diese Blumen, denkt sie, die bedeuten nichts, ihm geht es um etwas hier im Haus, das weiß ich jetzt. Ich habe die Tür aufgemacht, weil ich gierig war, und das ist die Strafe. Sie schwankt wieder. Von der Taille abwärts spürt sie gar nichts mehr, ihre Beine sind wie Stöcke. Sie öffnet einen Schrank und nimmt eine Vase heraus. Füllt sie mit Wasser und stellt die Blumen hinein, schiebt die Vase an die Wand. Die Lampe über der Anrichte strahlt die blauen Anemonen an. Harriet möchte beten, bringt aber kein Wort heraus, und außerdem erkennt sie jetzt klarer denn je, daß es keinen Gott gibt. Keinen Gott, keine anderen Menschen, nur die leere Straße draußen und ihren eigenen todesängstlichen Atem. Nur den stummen Mann, der sich so seltsam verhält. Sie kehrt ihm den Rücken zu und hört, daß er sich einen Stuhl zurechtrückt, als wolle er sich hier in ihrer Küche häuslich niederlassen. Sie dreht sich etwas zu ihm um und sieht, daß er sitzt. Er hat sein Gesicht hinter den schwarzen Handschuhen verborgen, er ist aus irgendeinem Grund verzweifelt, aber sie weiß nicht, aus welchem. Sie bleibt unschlüssig stehen, während ihr Herz rast. Der Strauß, wunderschön, rosa, blau und weiß, quillt förmlich aus der Vase, er scheint auf der leeren Anrichte fehl am Platze zu sein, in ihrem Haus, in dem Grau und Braun dominieren. Sie knüllt das Zellophan zusammen, sie macht sich am Papier zu schaffen. Faltet es zweimal und dann noch zweimal zusammen zu einem flachen Paket. Solange ihre Hände eine Aufgabe haben, wird ihr Herz weiterschlagen. Das hier passiert nicht wirklich, bald werde ich aufwachen. Sie legt alles in den Mülleimer unter der Anrichte, sie wagt nicht, die Tür zuzuknallen, sie will sich unsichtbar machen. Das ist nicht das, was ich gedacht habe, denkt sie, das ist nur ein zutiefst verwirrter Mann, und bald wird er mir alles erklären. Aber er erklärt nichts. Plötzlich springt er auf und kommt zu sich, sieht sie aus klaren Augen an, und Harriet denkt: Jetzt geht er. Geh jetzt!
Aber er geht nicht. Er öffnet seinen Parka und tastet unter dem Stoff herum. Die Hand kommt mit einem Revolver wieder zum Vorschein.
Das mit dem Revolver begreift sie nicht. Sie hat Teile ihres Bewußtseins verloren,
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