Der Mord an Harriet Krohn (German Edition)
plötzlichem Schmerz. Alles ist wieder da, erbarmungslos, in Bruchstücken und Fetzen, ihre Küche, die schwarze Katze. Diese Taten, diese Bilder stellen sich vor ihm in einer Reihe auf, schnelle, unwirkliche Tableaus. Er liegt vollkommen unbeweglich im Bett, während die Gedanken durch seinen Kopf wirbeln, er will immer so im Dunkeln liegen, er will den ganzen vergangenen Tag auslöschen. Vorsichtig bewegt er die Finger, die unversehrten schlanken Finger mit den beiden Goldringen. Dieser Tag hat nicht angefangen, denkt er, er fängt erst an, wenn ich die Augen aufmache, ich die Welt an- und ausmache. Ich muß meine Gedanken sammeln, einen nach dem anderen vorlassen, sie sortieren. Er weiß, daß er das nicht kann. Vor ihm liegt ein Sturm aus Gedanken, ein Blitzregen aus schrecklichen Bildern. Das häßliche grüne Kleid, der zertrümmerte Schädel. Endlich öffnet er die Augen. Ein wenig Licht dringt durch den Vorhang herein. Er sieht die Deckenlampe und folgt der Leitung mit den Augen, die zieht sich über die Wand und dann hinunter zur Steckdose an der Wand. Er sieht in einer Ecke Wollmäuse und etwas Dunkles, eine Spinne vielleicht. Ich bin Charles Olav Torp, denkt er, wie seltsam, in diesem schweren Körper zu erwachen, draußen gibt es Geräusche, aber sie wissen nichts, sie halten diesen Tag für ganz normal. Niemand hat das Beben bemerkt, aber bald werden die Ringe sich ausbreiten und alle anständigen Menschen treffen. Er sieht vor seinem inneren Auge eine Menschenmenge, und die dreht sich gleichzeitig um und schaut ihn anklagend an. Prüfend hebt er die rechte Hand und hält sie sich vor die Augen. Sie ist behaart und hat dicke Nägel. Die Hand, denkt er und dreht sie, spreizt die Finger ein wenig, sieht die Mechanik, denkt an die Kraft in ihnen, die ausgelöst wurde, als der Befehl vom Gehirn eintraf. Schlag sie, jetzt! Schlag zu! Ohne diesen Befehl hätte die Hand schlaff unten an seinem Arm gehangen und wäre eine gute, liebevolle Hand geblieben. Aber er hat in Harriets Küche gestanden und der Hand den Befehl erteilt. Nein, die hat sich ganz von selbst erhoben, er kann sich nicht daran erinnern, jemals den Gedanken formuliert zu haben, daß er sie schlagen sollte, hat er das getan? Die Hand ist zu eigenem Leben erwacht und hat getroffen, ohne daß er das wollte. Ist sie nicht schwer und schlaff? Ist es dieselbe Hand, die er immer gehabt hat, ist sie nicht größer als die linke? Er hebt die linke, um zu vergleichen. Ja, weil er Rechtshänder ist, das ist ganz normal. Während er so daliegt und die Spinne anstarrt, tickt die Uhr weiter. Er fühlt, daß er im Rückstand ist, und weiß, daß er aufstehen muß, einen Schritt im voraus sein, aufstehen, los, es ist vorbei. Fängt es vielleicht jetzt erst an? Was erwartet ihn draußen in der Stadt? Ein unaufhörlicher Strom von Menschen wird ihn auf der Straße beobachten. Was ist mit der Frau, die in der Bäckerei steht, wo er sein Brot kauft? Wird sie ihn mit anderen Augen ansehen? Langsam steht er auf und stellt die Füße auf den Boden, er ist sich seines rechten Arms so bewußt, der hat den Revolver gehoben, er kann ihn nicht ignorieren. Er ist doch viel schwerer als der linke? Er reibt die Finger aneinander, in seinen Fingerspitzen gibt es eine neue und unglaubliche Sensibilität, er meint, die kleinen Rillen spüren zu können, die seinen Fingerabdruck ausmachen. Er bleibt stehen, der schwere Arm hängt nach unten, er steht leicht nach vorn gebeugt da, schlaff. Nein, wie jämmerlich, denkt er, Schluß jetzt mit dem Quatsch. Er packt die Scheine auf dem Nachttisch, geht langsam durch das Zimmer, merkt, daß sein Arm wie eine Keule von seiner Schulter hängt, daß sein Gang sich geändert hat, er geht schief und breitbeinig wie ein Affe. Etwas stimmt nicht mit seinen Knien, die fühlen sich nicht richtig an. Er bleibt stehen, ihm schaudert. Kann seinen Herzschlag wie ein wütendes Hämmern in seinen Ohren hören. Erstarrt, holt Luft. Durch die Stille hört er einen Ton, der immer lauter wird, er hält sich die Ohren zu, hat Angst, daß alles, was sich in seinem Schädel abspielt, seinen Kopf platzen lassen wird wie eine überreife Frucht. Er überlegt, ob das Gehirn vielleicht einen Kurzschluß erleiden kann, wenn es zuviel zu tun hat, so wie er das jetzt hat, er, der Mörder. Denn sie ist tot, und er ist schuldig. Er denkt an die vielen elektrischen Impulse und stellt sich vor, daß es da drinnen knistert. Ohne es zu wollen, sinkt er in die Knie und
Weitere Kostenlose Bücher