Der Mord an Harriet Krohn (German Edition)
kann.«
Er knallt den Hörer auf die Gabel. Er wächst, ist ganz oben auf der Welt. Er packt die Scheine in einen großen Umschlag und macht sich dann ans Warten. Er schaut aus dem Fenster und sieht, daß die Sonne gerade die Wolkendecke durchbricht. Er umklammert den Umschlag mit der Hand. Schon nach fünfzehn Minuten sieht er Linds Chrysler unten auf der Straße vorübergleiten. Er bleibt ruhig sitzen und wartet bis es klingelt. Dieser Augenblick ist unbeschreiblich. Jetzt hallt es durch das Haus. Langsam erhebt er sich, langsam geht er durch die Wohnung, langsam öffnet er die Tür.
Lind ist groß und schlaksig, er hat die Hände in den Taschen und sieht ihn an.
»Na, Charlo, hier passiert also so allerlei?«
Charlo schlägt die Arme übereinander. Schaut aus zusammengekniffenen Augen zum Himmel hoch.
»Na, es klärt sich doch tatsächlich auf«, sagt er und nickt. Lind entdeckt den Umschlag.
»Gibt es vielleicht etwas, das ich wissen muß?«
»Keinen Scheißdreck«, sagt Charlo ruhig. »Nimm die Kohle und halt die Klappe, das ist alles, worum ich dich bitte.«
»Kommt nicht in Frage, daß du dich fürs Leihen bedankst?«
»Ja, vielen Dank.« Er hält ihm den Umschlag hin und macht einen übertriebenen Diener, wie ein Schuljunge. »Und sorg dafür, daß es sich herumspricht, daß ich geblecht habe.«
»Wie meinst du das?«
»Das weißt du. Ich hab die Gerüchte auch schon gehört.«
Lind öffnet den Umschlag und fängt an zu zählen, die Scheine sind in Bündel zu je zehn Stück aufgeteilt.
»Himmel, das sieht ja gut aus.«
Ein zufriedenes Grinsen breitet sich auf seinem Gesicht aus.
»Natürlich. Ich bin ein Ehrenmann. Und ich bin fertig mit allem, was Spiel heißt.«
Das entlockt Lind ein weiteres Grinsen. »Das glaub ich erst, wenn ich es sehe. Aber gut für dich, wenn du wieder auf die Beine gekommen bist.«
Er nickt kurz und geht zum Wagen. Charlo bleibt stehen und schaut hinter ihm her. Jetzt ist die Sonne durchgebrochen, jetzt gleitet der Wagen auf die Straße hinaus und überall leuchtet ein goldenes Licht. In seinem Kopf ist alles still. Er geht in die Wohnung und öffnet ein Fenster, er wiegt fast nichts mehr, er schwebt durch die Räume. In der Schublade liegen noch immer zwanzigtausend, das reicht für allerlei kleine Schulden. Kann das Vogelgezwitscher sein, was er da durch das offene Fenster hört? Nicht jetzt im November vermutlich, aber jemand pfeift da draußen, überschwenglich.
ER HAT DAS GEFÜHL , daß der zerkratzte Kotflügel ihn anschreit, als er zum Wagen geht. Er fährt zu einem Geschäft für Autozubehör und geht zu dem Regal mit Autolack. Versucht, den gleichen Rotton zu finden, wie der Honda ihn hat. Steht mit einer Dose in der Hand da, schüttelt sie, hört, wie die Kugel umherkullert. Was ist besser, überlegt er, zu hell oder zu dunkel? Und welches Rot braucht er eigentlich? Pflaumenrot, scharlachrot, er weiß es nicht so recht, er zögert. Er entscheidet sich für den hellen Ton. Am Tresen fällt sein Blick auf die Zeitungen, und er legt zwei an die Kasse. Vorne auf Dagbladet ist das Bild eines großen Blumenstraußes, er findet das seltsam für eine Vorderseite. In seinem Kopf klingelt es, irgendwie vertraut. Entsetzt hebt er die Zeitung hoch.
»Haben Sie diesen Strauß gebunden?«
Sofort merkt er, wie sein Gesicht erstarrt. Er traut seinen Augen nicht. Er wühlt verzweifelt nach Geld, reißt Zeitungen und Dose an sich, stürzt hinaus zum Auto. Knallt mit der Tür. Sein Herz scheint ihm davonlaufen zu wollen, sie sind schon auf seiner Spur. Nein, das kann nicht sein. Aber der Blumenstrauß, was hat der zu bedeuten?
»Sehen Sie sich diesen Strauß genau an. Er wurde in Harriet Krohns Haus in Hamsund gefunden. Die Blumen stammen offenbar von einer gelernten Floristin. Der Strauß war ganz frisch, als die Polizei das Haus durchsucht hat. Es ist davon auszugehen, daß der Strauß aus einem Blumenladen in der Stadt kommt, und die Hoffnung besteht, daß sich dort jemand daran und vielleicht auch an den Käufer erinnern wird. Die Polizei möchte sich nicht dazu äußern, warum die Blumen interessant sind. Der Strauß besteht aus einer weißen Lilie, blauen Anemonen, Wicken und Rosen. Wenn er Ihnen bekannt vorkommt, melden Sie sich bitte sofort bei der Polizei.«
Er läßt die Zeitung sinken. Starrt verzweifelt aus dem Fenster. Ich wußte nicht, daß sie soviel Phantasie haben, denkt er verzweifelt, ein Blumenstrauß auf der Anrichte, warum haben sie den so
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