Der Mord an Harriet Krohn (German Edition)
Die Uhr ist bleischwer. Mindestens fünfzigtausend, denkt er, vielleicht siebzig oder achtzig. Lange steht er so da und betrachtet seine Beute. Zählt Gabeln und Messer und Löffel und versucht, im Kopf zu rechnen. Dann packt er Schmuck und Besteck wieder in den Beutel und legt ihn in die Kiste. Er geht zur Anrichte und nimmt ein Brot aus der Schublade, schneidet, konzentriert sich auf diese konkrete Aufgabe, daß er etwas zu Essen benötigt. Packt das Brot mit der linken Hand, das Messer mit der rechten. Muß mich jetzt darauf konzentrieren, denkt er, muß handeln, muß die kleinen Dinge erledigen. Muß das gleiche tun wie die Lebenden. Daß ich getötet habe, sorgt dafür, daß ich mir anders vorkomme. Die Leute sehen es nicht, das ist mir klar, und ich kann es auch nicht erzählen. Ich muß es jetzt ertragen, und es kommt mir nicht wie eine Last vor. Es ist eher wie eine Narbe, eine Kerbe. Er überlegt, daß diese Kerbe im Herzen sitzt, und wenn er stirbt und sie ihn aufschneiden, werden sie sich über seinen Leichnam beugen und diese scheußliche Kerbe sehen. Sein Herz, enthüllt. Verunstaltet. Aha!, werden sie denken, so ist das also, er hat eine Schuld mit sich herumgetragen. Seine Hände fangen wieder an zu zittern, das Messer unterbricht seine Bewegung durch das Brot. Eine Weile steht er da, erstarrt in dieser Haltung. Endlich wird es still in ihm, und er schneidet Jarlsbergkäse ab und legt ihn auf die Brotscheiben. Er geht ins Wohnzimmer, um zu essen, er findet, daß sein Körper sich seltsam verhält, daß er nicht koordiniert ist, sondern auf eine widerliche Weise haltlos. Er kennt dieses Gefühl von damals, als er als Teenager zu schnell gewachsen ist. Seine Gelenke fühlen sich zu schwach an, seine Gedanken laufen in alle Richtungen davon. Als sei das Band zwischen Körper und Seele zerrissen. Ja, denkt er, der Kontakt ist unterbrochen, meine Seele treibt allein durch einen finsteren Raum mit flüsternden Stimmen, und mein Herz hat eine Kerbe. Mit einer großen Kraftanstrengung geht er ins Wohnzimmer, setzt sich in den bequemen Sessel, preßt die Knie aneinander. Stellt den Teller auf seine Oberschenkel. Er bohrt die Zähne in die Kruste, sie ist hart und trocken. Er hört draußen den Verkehr, das ist eine Erleichterung, er hat Angst vor totaler Stille, dort kann soviel wachsen. Von nun an sind andere Menschen etwas, das außerhalb von ihm selber existiert. Was ihn quält, ist kein schlechtes Gewissen, keine brennende Reue. Sondern ein großes Gefühl von Einsamkeit.
WIEDER RUFT ER bei Bjørnar Lind an und der meldet sich nach vier Klingeltönen. Das ist sein großer Augenblick, auf den er gewartet und von dem er geträumt hat.
»Hallo, du, hier ist Charlo. Lange nichts mehr voneinander gehört!«
Schweigen, wie er erwartet hat. Und dann ein gereiztes Zischen.
»Du kennst ja offenbar keine Grenzen. Der Hahn ist dicht, Charlo, du kriegst keine fünf Öre mehr.«
Charlo setzt sich in den Sessel vor dem Schreibtisch und ruht seine Ellbogen auf der Tischplatte aus. Langsam zieht er die Schublade heraus und nimmt das Geld hervor, berührt die Scheine mit den Fingerspitzen. Das dünne Papier knistert.
»Wo treibst du dich eigentlich herum?«
Seine Stimme ist leise und ruhig, er hat es nicht eilig, er will den Moment dehnen und auskosten.
»Bin jetzt zu Hause«, teilt Lind mit. »War in Schweden, hab über Trabrennen berichtet. Was hast du jetzt schon wieder angestellt?«
»Nichts. Ich brauche überhaupt nichts von dir.«
Wieder dieses Zischen am anderen Ende der Leitung.
»Und warum rufst du dann an?«
Linds Stimme klingt hart und mürrisch. Charlos Kopf ist klar wie Kristall.
»Hier liegt etwas für dich. Wollte dir nur Bescheid sagen. Du kannst es jederzeit holen kommen.«
»Was denn holen?« fragt Lind. Seine Stimme ist voller Zweifel, aber jetzt wird sie lauter, wird hoffnungsvoll.
»Zweihunderttausend«, sagt Charlo. »Ordentlich gebündelt.«
Nun folgt eine lange Pause.
»Red keinen Scheiß«, sagt Lind ungläubig.
»Schmink dir diesen arroganten Ton ab«, sagt Charlo und wird wütend. »Und sorg dafür, daß ich in Ruhe gelassen werde. Ja, verdammt, ich hab seit Monaten nicht mehr ruhig geschlafen. Kommst du oder kommst du nicht?«
Lind klingt schon freundlicher.
»Wie hast du das denn geschafft, Charlo?«
»Das kann dir ja wohl egal sein.«
»Hast du alle Grenzen überschritten?«
»Das kann dir ja wohl egal sein. Komm sofort her, damit ich diesen Scheiß hinter mich bringen
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