Der Mord des Jahrhunderts - Collins, P: Mord des Jahrhunderts
das luxuriöseste Hotel im Umkreis von Meilen. Als sie am Morgen heruntergekommen waren, hatte bereits ein fürstliches Mahl mit Truthahn und Entenbraten auf sie gewartet. Ein Geschworener machte sich sogleich über das Buffet her und stopfte sich die Taschen mit Buchweizenpfannkuchen voll. Ref 794 Ref 795
»Ich wünschte, es gäbe mehr Morde in diesem Land«, nuschelte ein anderer mit vollem Mund.
Doch leider konnte sich die Jury schon heute nicht einigen. Kirche , forderte eine entschlossene Minderheit von fünf Männern. Golf , hielten die anderen sieben dagegen und merkten an, dass es ihre Bürgerpflicht sei, sich dem verderblichen Einfluss der Öffentlichkeit zu entziehen. Absolute Isolation war einzig auf einem freien Feld gewährleistet… in Begleitung eines Caddies. Ref 796
Die Männer hatten Glück, dass sie sich nicht in der Nähe des Gefängnisses befanden, zu dem sich die neugierige Öffentlichkeit heute in Scharen aufmachte. Wie die Kinder, die am Unabhängigkeitstag in Woodside eingefallen waren, schien der erzwungene Müßiggang an Thanksgiving den Hobbydetektiv in den New Yorkern zu wecken. Zu Hunderten liefen sie vor dem Gefängnis auf und ab, in der Hoffnung, eine Audienz bei Nack oder Thorn gewährt zu bekommen. Doch Sheriff Doht wies sie alle ab. Ref 797
Für Thorn selbst war es zunächst ein Tag wie jeder andere mit einer Marathonsitzung Binokel, wenn auch mit der erfreulichen Unterbrechung für Truthahn und Kartoffeln. Seinem treuen Hund Bill Baker erging es gut, und die Wärter machten Thorn sogar ein edles Geschenk: eine Havannazigarre. Während Thorn dabei zusah, wie sich der Rauch durch die Gitterstäbe hindurchschlängelte, gelang es einem Mitarbeiter des Journal dennoch, ihm die Feiertagslaune zu verderben. Was,
fragte ihn der Reporter, sagte er zu Adolph Luetgerts Kommentar zu seinem Prozess?
Luetgert? Thorn hatte das Wiederaufnahmeverfahren des Wurstherstellers aus Chicago gespannt verfolgt – es hatte am gleichen Tag begonnen wie sein eigenes –, doch er hatte nicht gewusst, dass Luetgert ebenso seinen Prozess verfolgte.
Dem Gefangenen wurde eine Zeitung gereicht, auf deren Titelseite die Schlagzeile prangte LUETGERT PROPHEZEIT THORN SCHULDSPRUCH. »Ich denke, dass die Geschworenen sie beide schuldig sprechen werden«, teilte der selbst des Mordes Angeklagte der Presse mit. »Meiner Meinung nach kann sie nichts mehr retten, es sei denn, der Staat schließt einen Handel mit Mrs Nack, durch den sie mit einer Gefängnisstrafe davonkommt. «
»Und ich denke, dass Luetgert schuldig ist und gehängt werden sollte!«, schoss Thorn zurück. Doch der Artikel ärgerte ihn. Da half es nicht eben, als er später an diesem Tag das Evening Journal aufschlug. Nachdem sie einen ganzen Tag lang Religionsbücher gelesen hatte, hatte seine Mitverschwörerin eine Erklärung abgegeben, in die ein misstrauischer Kopf allerlei Geschacher und Verrat hineininterpretieren konnte. »Ich kann sagen«, ließ Mrs Nack die Presse wissen, »dass ich ganz genau weiß, wem heute an Thanksgiving mein Dank gilt.« Ref 798
Bis Freitag erhitzten sich die Gemüter.
»Zeigen Sie Ihre Eintrittskarten!«, forderten die Ordnungskräfte die Besucher vor dem Gerichtsgebäude auf. Es waren Fälschungen im Umlauf. Drinnen auf den Galerien zankten sich Frauen um Plätze und weigerten sich sogar zu gehen, wenn sie mit gefälschten oder abgelaufenen Karten erwischt wurden. »Raus«, schrie ein Aufseher über eine Reihe hinweg, während ein anderer einen Zuschauer beim Kragen packte: Ref 799
» Sie sind gemeint! «
»Die Anwesenheit von Frauen ist eine Schande!«, echauffierte sich der Staatsanwalt unten im Saal. Er war immer noch empört, dass er Zeugen vor den Augen so vieler Frauen zu Guldensuppes Vorhaut hatte befragen müssen. Ref 800
Hearst empfand diesbezüglich weniger Reue: »Ein Verbrechen in seiner vulgärsten und abstoßendsten Form zu schildern«, wandte er sich fromm an seine Leserschaft, »bedeutet, einen Dienst zu leisten.« Ref 801
Reporter telegrafierten so viele reißerische Einzelheiten über den Fluss, wie sie nur finden konnten. SCHAMLOSE FRAUEN UND SCHLECHTE LUFT, lautete eine Schlagzeile. In der Tat war die Luft im Gerichtssaal wieder zum Ersticken. Der Gestank, klagte ein Reporter der New York Press , war inzwischen »widerwärtiger denn je, falls das überhaupt möglich ist«. Der Staatsanwalt verlangte eine Überprüfung des Belüftungssystems im Gerichtsgebäude, und so mancher Zuschauer
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