Der Mord zum Sonnntag
«Du kannst das Haus haben», sagte sie. «Ohne
mir etwas dafür zu bezahlen. Gib mir nur die Genugtuung,
die Wahrheit zu hören, das Eingeständnis, daß ich mit dem
Mord an deinem Vater nichts zu tun hatte.»
Lillian blickte rasch zu Ned, dann auf die Uhr. «Ich
meine, um diese Zeit sollten wir dem auch Folge leisten.»
Sie fing an zu lachen.
«Cynthia, ich bin tatsächlich so wie mein Vater. Ich
genieße es, mit Menschen Katze und Maus zu spielen.
Mein Vater hat mich angerufen und über die
Testamentsänderung informiert. Ich konnte mich damit
abfinden, daß Dartmouth die Hälfte seines Vermögens
bekommt, aber nicht du. Er erzählte mir, daß er dich
erwartet – und der Rest war ein Kinderspiel. Meine Mutter
war eine wunderbare Frau. Sie hat liebend gern bestätigt,
daß ich an dem bewußten Abend bei ihr in New York war.
Ned war entzückt, eine stattliche Summe dafür zu
erhalten, daß er mit dir einen Bootsausflug unternahm. Du
bist klug, Cynthia. Klüger als der Staatsanwalt und seine
Leute. Klüger als dieser Trottel von einem Anwalt, der
dich verteidigt hat.»
Gott gebe, daß der Recorder funktioniert, betete Cynthia.
«Und klug genug, die Zeugin ausfindig zu machen, die
meine Aussage bestätigen konnte», ergänzte sie.
Lillian und Ned brachen in schallendes Gelächter aus.
«Was denn für eine Zeugin?» fragte Ned.
«Raus hier», fauchte Lillian. «Verschwinde auf der
Stelle. Und laß dich nie wieder blicken.»
Jeff Knight brauste über die Route 6, bemühte sich
angestrengt, durch die von einem wahren Wolkenbruch
überschwemmte Windschutzscheibe die Schilder zu
entziffern. Ausfahrt 8. Er näherte sich seinem Ziel. Der für
die Zehn-Uhr-Nachrichten verantwortliche Redakteur
hatte sich überraschend verständnisvoll gezeigt. Natürlich
nicht ohne Grund. «Fahren Sie los. Wenn Cynthia Lathem
sich am Kap aufhält und meint, einen brauchbaren
Hinweis für den Tod ihres Stiefvaters zu haben, dann fällt
Ihnen ein echter Knüller in den Schoß.»
Jeff war nicht an einem Knüller interessiert. Seine ganze
Sorge galt Cynthia. Seine langen, kräftigen Finger
umklammerten das Lenkrad. Ihre Adresse nebst
Telefonnummer hatte er dem mit der Schutzaufsicht
betrauten Beamten entlockt. Cape Cod war ihm durch
viele Sommeraufenthalte vertraut, deshalb hatte ihm die
Enttäuschung auch so zugesetzt, als er sich vergebens
bemühte, Beweise für Cynthias Aussage zu finden. Sein
ständiges Feriendomizil war allerdings auch in Eastham,
gute 80 km von Cotuit entfernt.
Ausfahrt 8. Er bog ein in die Union Street, fuhr weiter in
Richtung Route 6A. Noch ein paar Kilometer. Wieso hatte
er dieses Gefühl einer drohenden Katastrophe? Sollte
Cynthia tatsächlich einen hilfreichen Hinweis haben,
könnte sie in Gefahr schweben.
An der Nobscusset Road mußte er scharf bremsen. Ein
Wagen übersah das Stoppschild und überquerte die Route
6 A in mörderischem Tempo. Verdammter Idiot, dachte
Jeff, als er nach links in Richtung Bucht abbog. Er
registrierte, daß die ganze Gegend im Dunkeln lag.
Stromausfall. Am Ende der Sackgasse bog er links ein.
Das Haus mußte an diesem Pfad liegen. Nummer sechs. Er
fuhr langsam, versuchte, mit Hilfe der Scheinwerfer die
Hausnummern an den Briefkästen auszumachen. Zwölf.
Acht. Sechs.
Jeff stellte den Wagen in der Auffahrt ab, riß die Tür auf
und rannte durch den prasselnden Regen auf das Haus zu.
Er drückte auf die Klingel, bis ihm klar wurde, daß sie ja
wegen des Stromausfalls nicht funktionieren konnte. Er
hämmerte mehrmals an die Tür. Keine Antwort. Cynthia
war nicht zu Hause.
Er machte bereits kehrt, als ihn plötzlich eine begründete
Furcht überfiel und er abermals an die Haustür hämmerte,
dann am Knauf drehte. Der bewegte sich, er stürmte
hinein, begann zu rufen:
«Cynthia!» Da spürte er den Gasgeruch, hörte das
Zischen, mit dem es aus dem Kamin strömte. Als er
hinraste, um es abzudrehen, stolperte er über eine reglos
auf dem Bauch liegende Gestalt.
Willy rutschte unruhig auf dem Rücksitz von Cynthias
Wagen hin und her. Sie war jetzt seit über einer Stunde in
der Villa. Der Kerl, der nach ihr gekommen war, verweilte
auch schon eine Viertelstunde dort drin. Willy wußte nicht
recht, was er tun sollte. Alvirah hatte keine präzisen
Instruktionen erteilt. Sie wollte ihn lediglich in greifbarer
Nähe haben, um sicherzustellen, daß Cynthia das Haus
nicht in irgendeiner Begleitung verließ.
Während er noch mit sich
Weitere Kostenlose Bücher