Der Mord zum Sonnntag
für Brian aussehen, dachte sie. Es muß eine
Erklärung geben. Brian hätte sich niemals an einer Flasche
Champagner zu fünfhundert Dollar vergriffen und Fiona
Winters bestimmt nicht umgebracht. Aber wie hat sie in
meinem Wandschrank ihr Ende gefunden?
Trotz der kurzen Nacht waren Alvirah und Willy um
sieben wieder auf den Beinen. Der Schock, den sie beide
erlitten hatten, ebbte ab, und nun setzten die Sorgen um
Brian ein. «Kein Grund zur Aufregung», meinte Alvirah
ohne innere Überzeugung. «Wenn wir mit ihm sprechen,
wird sich alles aufklären, da bin ich sicher. Mal sehen, ob
wir wieder in unsere Wohnung reinkönnen.»
Sie zogen sich rasch an und eilten nach draußen.
Carleton Rumson stand an den Fahrstühlen. Seine sonst
rosige Gesichtsfarbe war fahl; dunkle Augensäcke
machten ihn zehn Jahre älter. Wieder schaltete Alvirah
automatisch das Mikrofon in ihrer Anstecknadel ein.
«Haben Sie schon von dem gräßlichen Mord in unserer
Wohnung gehört, Mr. Rumson?» erkundigte sie sich.
Er drückte heftig auf den Fahrstuhlknopf. «Ja, allerdings.
Freunde im Haus haben uns angerufen. Schrecklich für die
junge Dame, schrecklich auch für Sie.»
Der Lift kam. Als sie drin waren, sagte Rumson:
«Mrs. Meehan, meine Frau hat mich noch mal an das
Stück Ihres Neffen erinnert. Wir fliegen morgen früh nach
Mexiko. Ich würde es furchtbar gern heute lesen.»
Alvirah fiel das Kinn herunter. «Oh, das ist wirklich
fabelhaft von Ihrer Frau, daß sie deswegen so hinter Ihnen
her ist. Wir schicken’s Ihnen bestimmt rauf.»
Als sie und Willy auf ihrer Etage ausstiegen, sagte sie:
«Das könnte für Brian der große Durchbruch sein.
Vorausgesetzt, daß …» Sie hielt abrupt inne.
Vor ihrer Wohnungstür hielt ein Polizist Wache.
Drinnen hatte die Spurensuche ihrerseits überall Spuren
hinterlassen. Und gegenüber von Rooney saß Brian,
verwirrt, hilflos. Er sprang auf. «Tut mir leid, Tante
Alvirah. Das ist ja schrecklich für euch.»
Für Alvirah sah er wie ein Zehnjähriger aus. Sein T-Shirt
und die Khakihose waren zerknittert; bei einer Flucht aus
einem brennenden Gebäude hätte er auch nicht schlimmer
aussehen können.
Alvirah strich ihm das rotblonde Haar aus der Stirn,
während Willy seine Hand ergriff. «Bist du okay?» fragte
er.
Brian lächelte gequält. «Ich denke schon.»
Rooney unterbrach: «Mr. McCormack ist eben
gekommen, und ich wollte ihn davon in Kenntnis setzen,
daß er im Fall Fiona Winters als tatverdächtig gilt und das
Recht auf einen Anwalt hat.»
«Soll das ein Witz sein?» fragte Brian ungläubig.
«Ich mache keine Witze, mein Wort darauf.» Rooney
zog ein Blatt aus der Brusttasche, las Brian seine Rechte
vor und gab es ihm dann. «Lassen Sie mich bitte wissen,
ob Sie das in allen Punkten verstanden haben.» Mit einem
Blick auf Alvirah und Willy sagte er:
«Unsere Leute sind fertig. Sie können jetzt in der
Wohnung bleiben. Mr. McCormacks Aussage nehme ich
im Präsidium auf.»
«Du sagst kein Wort, Brian, bis wir dir einen Anwalt
besorgt haben», befahl Willy.
Brian schüttelte den Kopf. «Ich habe nichts zu
verbergen, Onkel Willy. Ich brauche keinen Anwalt.»
Alvirah gab Brian einen Kuß. «Sobald du’s hinter dir
hast, kommst du gleich wieder her.»
Der Zustand der Wohnung gab ihr einiges zu tun. Sie
schickte Willy mit einer langen Einkaufsliste los, schärfte
ihm ein, den Lastenaufzug zu benutzen und so den
Reportern zu entwischen.
Während sie sich mit Staubsauger, Schrubber, Mop und
Staubtuch betätigte, realisierte sie mit wachsender Furcht,
daß Polizisten die obligate Rechtsbelehrung, den Miranda
Act, nur dann verlesen, wenn sie einen wohlbegründeten
Tatverdacht haben.
Am schwersten fiel es ihr, den Teppichboden im
Wandschrank zu saugen. Sie meinte, die weit
aufgerissenen Augen von Fiona Winters wieder
emporstarren zu sehen. Das brachte sie auf einen
Gedanken. Wenn Fiona von jemandem erwürgt worden
war, der sich von hinten angeschlichen hatte, dann wäre
sie nicht auf dem Rücken liegend, mit nach oben
gewandtem Gesicht gefunden worden.
Alvirah stellte den Staubsauger ab. Sie dachte über die
Fingerabdrücke auf dem Couchtisch nach. Wenn Fiona
Winters auf der Couch gesessen, sich vielleicht etwas
vorgebeugt hatte, während ihr Mörder auf der Rückseite
stand, ihr die Vorhangschlaufe um den Hals legte und
dann zudrehte, wäre da ihre Hand nicht automatisch
zurückgezogen worden und hatte die Fingerabdrücke auf
der Glasplatte hinterlassen?
Weitere Kostenlose Bücher